Wer daran zweifelt, dass Schlafentzug Folter ist, soll einmal einige Nächte mit einem quengeligen Neugeborenen verbringen. Die Stunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen, in denen der eigene Körper nach Erholung verlangt, sind erfüllt von einer unvorhersehbaren Abfolge von Schreien, Stillen, Wickeln, Einnicken und Aufschrecken, von quälenden Bäuerchen, quersitzenden Pupsen, ausgespuckten Schnullern, zornigem Brüllen und dem lauten Einfordern von Aufmerksamkeit spätestens von halb sechs an.
Mehrere solcher Nächte in Folge bringen Eltern an die Grenzen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. In vielen Schlafzimmer beginnt ein erbittertes Eltern-Mikado (wer sich als erster bewegt, hat verloren), in dem meist die Mütter unterliegen, weil ohnehin sie es sind, die dem Kind die Brust geben.
Manchmal - sehr selten - endet eine solche Nacht aber auch mit einer Stille, die die Eltern ihr Leben lang verfolgen wird: wenn das Baby plötzlich nicht mehr atmet. Das ist nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr 147-mal passiert, bei 673.570 neugeborenen Kindern. Und vielleicht in jedem sechsten Fall lag das Kind in jener Nacht im Elternbett, womöglich weil Mutter und Vater nur so hoffen konnten, etwas Frieden zu finden. Das Risiko ist also sehr klein, aber die befürchtete Tragödie so gewaltig und unvorstellbar, dass sich viele Eltern nervös fragen: Gefährde ich mein Kind, wenn ich es nachts im Elternbett schlafen lasse? Eine aktuelle Studie sollte diese Frage eigentlich beantworten. Stattdessen hat sie die Diskussion nur weiter angeheizt.
Der plötzliche Kindstod, in Fachkreisen Sids genannt (nach der Abkürzung des englischen Begriffs Sudden Infant Death Syndrome), ist immer noch ein rätselhaftes Phänomen. Aus irgendwelchen Gründen versagt bei den Kindern die Atmung, womöglich weil der junge Organismus es nicht schafft, nach einem einigermaßen normalen, vorübergehenden Aussetzer mit lautem Schnaufen das Luftholen wieder zu starten. Womöglich spielt auch das Wieder-Einatmen von ausgeatmeten Kohlendioxid eine Rolle, vielleicht auch ein anfliegender Infekt.
Immerhin kennt die Medizin klare Risiko- und Schutzfaktoren. Stillen senkt die Gefahr deutlich, ebenso wie offenbar das nächtliche Nuckeln an einem Schnuller. Außerdem sollen Eltern darauf achten, dass ihre Kleinen nicht zu warm werden und nicht in Ritzen der Matratze rollen oder von schweren Decken, Kissen oder Kuscheltieren bedeckt werden können. Die Erwachsenen selbst sollten die Nacht neben ihrem Kind nicht im Alkohol- oder Drogenrausch verbringen.
Die zwei größten Risikofaktoren
"Es gibt im Wesentlichen zwei wichtige Risikofaktoren", sagt Gerhard Jorch, Direktor der Universitätskinderklinik Magdeburg: "stark rauchende Eltern und die Bauchlage. Alles andere ist im Vergleich dazu eher unbedeutend." Jorch selbst war Anfang der 1990er-Jahre daran beteiligt, Eltern dringend von der bis dahin sehr beliebten und auch von Ärzten propagierten Bauchlage abzuraten. Es gab eine regelrechte internationale PR-Kampagne, und die Sids-Zahlen sind danach stark gesunken. "So wurden allein in Deutschland etwa 1000 Kinder pro Jahr gerettet", sagt Jorch.
Die offiziellen medizinischen Schriften aber benennen indirekt auch das Schlafen im Elternbett als Risiko. "Lassen Sie Ihr Kind bei sich im Zimmer, aber im eigenen Kinderbett schlafen", zitiert Christian Poets, Jorchs Kollege von der Universität Tübingen, die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin zur "Prävention des Plötzlichen Kindstods".
Die Leitlinie wurde gerade - unter Federführung von Poets - überarbeitet, aber dieser Passus hat sich nicht geändert, sagt der Arzt. Alle dort genannten Empfehlungen an Eltern "gelten als gesichert", heißt es im Text. Auch in den Niederlanden und den USA wird den Eltern davon abgeraten, das Baby neben sich im Bett schlafen zu lassen. Zumal zu allen anderen Problemen noch die Gefahr kommt, dass sich einer der Erwachsenen im Schlaf auf das Kind wälzt - auch wenn das vermutlich selten vorkommt.