Placebo-Effekt in der Chirurgie:Die Aufschneider

Placebo-Effekt in der Chirurgie: Längst nicht für alle OP-Verfahren ist belegt, wie hilfreich sie sind.

Längst nicht für alle OP-Verfahren ist belegt, wie hilfreich sie sind.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Haut einritzen, ziellos einen Schlauch einführen und schon geht es dem Patienten besser: Auch Scheinoperationen helfen - und werfen die Frage auf, wie wirksam viele der neuen OP-Verfahren eigentlich sind.

Von Werner Bartens

Wenn Chirurgen zum Skalpell greifen, können sie häufig beeindruckende Erfolge vorweisen. Sie retten Leben, lindern Schmerzen, befreien von schlimmer Pein. Allenfalls Feuerwehrleute, Polizisten und Bergretter kennen ähnlich heldenhafte Auswirkungen ihrer Arbeit. Umso überraschender ist das, was Mediziner aus Oxford jetzt über das Tun der professionellen Aufschneider herausgefunden haben. Im aktuellen British Medical Journal berichten sie, dass bei Dutzenden Eingriffen und Operationsmethoden in der Hälfte der Fälle keinerlei Unterschied zu einer Scheinbehandlung festzustellen war (Bd. 348, S. g3253, 2014).

Dieser erstaunliche Befund heißt nicht, dass die Patienten nach der Operation keine Linderung verspürt hätten oder sich nicht besser fühlten. Die erfreuliche Wirkung war jedoch nicht auf den Eingriff oder das handwerkliche Geschick des Operateurs zurückzuführen, sondern wurde bei Kranken in der Placebo-Gruppe in ähnlichem Ausmaß beobachtet. Wer das Gefühl hatte, dass ihm geholfen wurde, dem ging es anschließend besser, egal ob er spezifisch therapiert wurde oder die Ärzte so taten, als ob er eine Behandlung bekam.

Die Oxford-Ärzte um Andrew Carr nahmen 53 Interventionen unter die Lupe. Dabei handelte es sich zumeist nicht um mehrstündige Eingriffe wie die Implantation eines neuen Hüftgelenks. Häufiger waren endoskopische Eingriffe aus dem Bereich der modernen Chirurgie, "bei denen man kaum noch unterscheiden kann, ob sie zur konservativen Medizin gehören oder invasiv sind", wie es die Autoren hübsch ausdrücken.

So untersuchten die Forscher die Folgen eines Shunt-Abflusses bei Alzheimer, die Injektion von Eigenfett bei Inkontinenz, die Übertragung fötaler Hirnzellen bei Parkinson und diverse endoskopische Verfahren und Laserbehandlungen bei blutenden Magengeschwüren, Krampfadern der Speiseröhre, Endometriose oder chronischem Sodbrennen. Die Auswirkungen einer Versteifung der Wirbelsäule und der Deaktivierung so genannter Triggerpunkte bei Migräne wurden ebenfalls analysiert.

Nur bei 26 der 53 Verfahren erwies sich der chirurgische Eingriff als überlegen, "doch dieser Vorteil fiel im allgemeinen sehr gering aus", sagt Karolina Wartolowska, die Erstautorin der Untersuchung. Bei 27 Operationsmethoden erging es den Patienten hingegen anschließend nicht besser als jenen Teilnehmern, die nur zum Schein behandelt worden waren und bei denen nur die Haut eingeritzt oder das Endoskop eingeführt wurde, ohne es zu bedienen.

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