Psychologie:Was hinter dem Placebo-Effekt steckt

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Teure Zuckerkügelchen: In der Homöopathie werden Wirkstoffe so weit verdünnt, dass sie nicht mehr nachweisbar sind. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Allein der Glaube an die Wirkung von Medizin kann Krankheitsverläufe lindern. Was dabei im Körper passiert und wie Patienten noch mehr davon profitieren könnten.

Von Tom Kern

Nachdem die Italienerin Danila Castelli im Jahr 1980 ein Bad im südfranzösischen Lourdes neben einer Marienfigur genommen hatte, verschwindet auf einmal der hohe Blutdruck, unter dem sie jahrelang gelitten hatte, gegen den ihr die Ärzte nicht helfen konnten. So erzählt es zumindest der von der katholischen Kirche beauftragte Arzt, der den Fall untersuchen sollte. Er stellt fest: Medizinisch ist der Fall nicht zu erklären – hier muss eine Wunderheilung geschehen sein! Ist das möglich?

Solche Phänomene sind experimentell schwierig nachzustellen, aber dass Menschen geheilt werden können, ohne dass ihnen wirksame Medikamente gegeben wurden, ist auch in der Forschung schon länger bekannt. Untersuchungen zum sogenannten Placebo-Effekt haben ergeben: Zuckerpillen können Entzündungswerte verbessern und den Blutdruck senken, vorgetäuschte Operationen die Schmerzen von Arthrose mindern. Dabei soll insbesondere die Erwartung an die positiven Effekte der Behandlung eine heilende Wirkung entfalten. Wie genau nebulöse Faktoren wie Erwartungen medizinische Parameter wie den Blutdruck beeinflussen, war jedoch lange unbekannt.

In einer im Fachmagazin nature cardiovascular research erschienenen Studie wurde deshalb bei Mäusen untersucht, wie sich der Placebo-Effekt physisch manifestiert. Um die positiven Erwartungen der Mäuse anzuregen, wurde die Dopaminausschüttung in ihrem Gehirn mithilfe von speziellen Medikamenten erhöht. „Wir wissen, dass das Dopaminsystem eine zentrale Rolle beim Placebo-Effekt spielt. Im Labor können wir untersuchen, warum das so ist“, sagt Asya Rolls, leitende Wissenschaftlerin der Studie.

Um einen medizinischen Notfall nachzustellen, wurde gesunden Mäusen in einer Operation unter Narkose eine Arterie, die den Herzmuskel mit Sauerstoff versorgt, dauerhaft abgeklemmt. Das ähnelt den Vorgängen bei einem Herzinfarkt. Anschließend haben sie zwei Wochen lang jeden Tag die Medikamente bekommen, die ihre Dopaminausschüttung erhöht. Dopamin ist auch bei Menschen Teil des Belohnungssystems im Gehirn. Es wird unter anderem dann ausgeschüttet, wenn man Schönes erwartet, etwa die befreiende Wirkung eines Medikaments. Die Folgen für die Herzgesundheit wurden währenddessen akribisch dokumentiert. Das Ergebnis: Die Mäuse, deren Belohnungssystem aktiviert wurde, wiesen deutlich weniger Schäden am Herzen auf als andere.

Das Team konnte also erfolgreich eine Art Placebo-Effekt im Tiermodell nachstellen. Mit diesem Versuchsaufbau konnten sie nun anfangen, nachzuvollziehen, wie genau dieser Effekt zustande kommt: „Durch weitere Untersuchungen konnten wir zeigen, wie Dopamin aus dem Gehirn heraus den Rest des Körpers beeinflusst. Vor allem verringert es die Ausschüttung von Stresshormonen, wie Noradrenalin. Das hilft dann wiederum bei verschiedenen Problemen, etwa bei der Herzgesundheit und auch bei der Tumorbekämpfung.“ Denn Stresshormone können die Immunabwehr des Körpers schwächen. Dopamin kann dem entgegenwirken und somit bei der Bekämpfung von Krankheiten helfen. Das gilt für Aktivierung von weißen Blutkörperchen, aber auch für die Produktion von gewebeheilenden Proteinen in der Leber.

Generell ist Rolls jedoch vorsichtig bei der Interpretation ihrer Ergebnisse. „Ich will wirklich nicht, dass irgendjemand jetzt denkt, positives Denken kann Krankheiten wie Krebs heilen. Zum einen haben wir diesen Effekt nur bei Mäusen untersucht, und zum anderen sind die Beschwerden auch nicht ganz verschwunden. Das Tumorwachstum wurde zum Beispiel lediglich gehemmt.“

Manfred Schedlowski vom Universitätsklinikum Essen misst den Ergebnissen trotzdem einen hohen Wert bei: „Das ist eine bahnbrechende Arbeit, die detailgenau beschreibt, welche Mechanismen dem Placebo-Effekt zugrunde liegen.“ Und obwohl die Studie mit Mäusen gearbeitet habe, passten die Ergebnisse zu dem, was auch aus der Forschung mit Menschen bekannt sei. Er habe zum Beispiel in einer Studie, die im Fachmagazin BMC Medicine veröffentlicht wurde, zusammen mit Kollegen zeigen können, dass positive Erwartungen die Erholung von einer Herz-OP deutlich verbessert. Patienten, mit denen für ungefähr zweieinhalb Stunden in mehreren Sitzungen gesprochen wurde, fühlten sich sechs Monate nach dem Eingriff weniger eingeschränkt im Beruf und in der Freizeit. Außerdem waren ihre Entzündungswerte niedriger als bei Patienten, die weniger Beratung erhielten.

„Es ist traurig, dass die Medizin diese Effekte ausklammert“

Winfried Rief von der Philipps-Universität Marburg, der die Studie geleitet hatte, findet, dass solche Ergebnisse primär auf ungenutztes Potenzial im Gesundheitswesen hinweisen: „In der modernen Medizin versucht man, komplexe Krankheiten auf einzelne Moleküle herunterzubrechen. Die Behandlung fokussiert sich dann nur auf biologische und chemische Prozesse. Psychologische Effekte fallen dabei hintenüber“. Und das, obwohl sie in Kombination mit medizinischer Intervention extrem wirkungsvoll sein können, wie die Studie zeigte.

„Es ist traurig, dass die Medizin versucht, diese Effekte auszuklammern“, sagt Rief. Denn eine Behandlung, die mehr auf psychologische Bedürfnisse eingeht, würde auch wirtschaftliche Vorteile bringen. „Wir konnten in einer anderen Studie zeigen, dass der Klinikaufenthalt nach einem großen Eingriff durch gezielte Gespräche um Tage verkürzt werden kann. Die Kosten für die behandelnden Psychologinnen und Psychologen beliefen sich dabei auf ungefähr 400 Euro pro Patient. Verbringt dieser Patient dann einen einzigen Tag weniger auf der Intensivstation im Krankenhaus, spart man sich zum Teil mehrere Tausend Euro.“

Bis diese Nachricht zu Verantwortlichen im Gesundheitswesen durchgedrungen ist, werden wir wahrscheinlich noch öfter von Fällen hören, in denen eine Marienstatue vollbringen konnte, woran Ärztinnen und Ärzte scheiterten. Vielleicht muss man aber nicht unbedingt ins französische Lourdes, um die positiven Gedanken anzuheizen. Denn auch Sport oder leckeres Essen können die Dopaminproduktion anregen.

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