Pharmaindustrie:Das Geschäft der Pillen-Panscher

Exclusive Look At Pharmaceuticals Manufacturing Inside Lupin Ltd. Facility, India's Third-Largest Drugmaker

Pharmakonzerne lassen Medikamente heute von Fabriken in aller Welt herstellen. Ob in den Produktionsstätten wie dieser in Indien alle Sicherheitsvorschriften eingehalten werden, lässt sich kaum kontrollieren.

(Foto: Bloomberg)
  • Schätzungen zufolge sterben bis zu eine Million Menschen jedes Jahr an gefälschten und gepanschten Medikamenten.
  • Der Autor und Regisseur Daniel Harrich hat jahrelang zu dem Thema recherchiert und seine Ergebnisse im ARD-Spielfilm "Gift", in der Dokumentation "Gefährliche Medikamente" und in dem Buch "Pharma-Crime: Kopiert, gepanscht, verfälscht - Warum unsere Medikamente nicht mehr sicher sind" verarbeitet.
  • Experten halten den deutschen Pharmamarkt im internationalen Vergleich für sicher.

Von Werner Bartens

Die Seuche greift weltweit um sich. Überall kann sie zuschlagen. Jedes Land ist potenziell betroffen. Es ist eine stille Epidemie, von der die Rede ist. Menschen sterben, Menschen werden krank, aber die Ursache ist nicht zu erkennen. Schließlich wüten hier keine neuen Virenstämme, die den Menschen rund um den Globus den Garaus machen. Der Tod kommt vielmehr aus dem Hinterhalt - mit Mitteln, die eigentlich Heilung oder zumindest Linderung bringen sollten.

Medikamentenfälschung ist eine immense Gefahr. Die genaue Dimension ist ungewiss, dennoch sind sich die Weltgesundheitsorganisation WHO und andere Behörden einig, dass immer mehr gefälschte Arzneien in Umlauf kommen. Schätzungen zufolge sterben bis zu eine Million Menschen jedes Jahr daran.

Gefährlich sind aber nicht nur verunreinigte Arzneimittel oder solche mit gefährlichen Zusätzen. Ein mindestens so großes Problem ist die falsche Dosis. Die Substanz mag in Ordnung sein, aber zu viel oder zu wenig Inhaltsstoff kann tödliche Folgen haben - oder kaum Wirkung zeigen und so die Behandlung verzögern oder verhindern.

2008 war bekannt geworden, dass Heparin aus dem chinesischen Changzhou gepanscht war

Die Todesursache von Robert Allen ist bis heute unklar. Der 44-Jährige bekam 2008 in Phoenix, Arizona, Infusionen zur Blutverdünnung. Er gilt als einer von Dutzenden Patienten, die in den USA an gepanschtem Heparin gestorben sind. Seine Witwe Charlisa, selbst Ärztin, hat den Hersteller Baxter verklagt. Lange zogen sich die juristischen Auseinandersetzungen hin, der Prozess soll erst jetzt beginnen, neun Jahre nach Allens frühem Tod.

Zur Erinnerung: 2008 war bekannt geworden, dass Heparin aus dem chinesischen Changzhou gepanscht war. Der verunreinigte Blutverdünner führte allein in den USA zu Dutzenden Todesfällen, 81 hat die dortige Zulassungsbehörde FDA auf das unsaubere Heparin zurückgeführt. Zudem gab es in den USA fast 800 Meldungen über schwere Zwischenfälle nach Heparin-Injektion, meist durch allergische Schocks. Auch in Deutschland wurden mehr als 80 schwere Vorkommnisse in Zusammenhang mit gefälschtem Heparin gemeldet, das aber nicht von Baxter, sondern der Schleswig-Holsteinischen Firma Rotexmedica vertrieben wurde. Der Blutverdünner wird aus Schweinedarm gewonnen, in der Region um Changzhou sind 30 Fabriken in der Heparin-Herstellung für den Weltmarkt tätig. Von dort beziehen deutsche wie amerikanische Pharmafirmen viele Produkte.

Hängt Medikamenten-Sicherheit von Sprachkenntnissen ab?

Die FDA musste einräumen, "dass sie die Handelswege in China teilweise nicht nachvollziehen kann". Außerdem hatte sie die Firma in Changzhou nicht inspiziert, was laut Gesetz vorgesehen war. Die Möglichkeit, als amerikanische oder europäische Behörde in Asien auf eine Schließung der Produktion zu drängen, wenn Mängel entdeckt werden, sind naturgemäß gering. Ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beklagte damals, dass die Kontrolle vor Ort "gar nicht so einfach ist. Adressen in China sind ja nicht leicht nachzuvollziehen."

Hängt Medikamenten-Sicherheit also von Sprachkenntnissen ab? Der Münchner Autor und Regisseur Daniel Harrich hat jahrelang zum Thema gefälschte Medikamente recherchiert und mit Opfern und Beteiligten gesprochen. Während eines ARD-Schwerpunkts ist heute zunächst Harrichs Spielfilm "Gift" zu sehen. Anschließend zeigt die Dokumentation "Gefährliche Medikamente" die Verflechtungen der Branche. Im Heyne-Verlag ist von Harrich das Buch erschienen: "Pharma-Crime: Kopiert, gepanscht, verfälscht - Warum unsere Medikamente nicht mehr sicher sind".

Solche Titel klingen drastisch, aber von Panikmache kann keine Rede sein. "Kein Land bleibt von diesem Problem unberührt, das erstreckt sich von Nordamerika und Europa über Afrika, Südostasien und Lateinamerika", warnt die WHO eindringlich. "Was einst vor allem als Problem der Entwicklungsländer gesehen wurde, ist inzwischen ein Thema für alle. Mit dem Anstieg der weltweiten Verbindungen und den Möglichkeiten des Internets haben die Hersteller und Vertreiber gefälschter und gepanschter Medikamente längst Zugang zum globalen Markt."

Zwar gilt noch immer, dass die ärmsten Länder auch die größten Probleme mit gefälschten Medikamenten haben. Im Afrika südlich der Sahara gelten 30 bis 40 Prozent der Arzneimittel als gefälscht, in Russland, Asien und Lateinamerika zwischen 10 und 20 Prozent. Für Nordamerika und Europa wird angenommen, dass ein Prozent der Medikamente gefälscht sein könnte. Allein in Deutschland wären das jährlich 1,4 Millionen Medikamentenpackungen. Die Angaben beruhen auf Schätzungen. Immer wieder greifen Polizei und Zoll Lieferungen mit gefälschten Medikamenten auf. Doch diese Zufallsfunde und Stichproben lassen kaum Aussagen über die wahre Dimension des Problems zu.

"Es wird alles gefälscht. Von Antibiotika bis zur Antibabypille"

"Ich habe in 30 Jahren bei der Kripo viel gesehen, aber während meiner Arbeit für die Pharmaindustrie hat es mich schockiert, in welchem Ausmaß man die Gesundheit von Menschen gefährdet, um Geld zu verdienen", sagt der ehemalige Sicherheitschef einer der weltgrößten Pharmafirmen, der anonym bleiben will. "Die deutschen Apotheken sind relativ sicher, aber man ist auch dort nicht davor gefeit, eine Fälschung zu bekommen. Es wird alles gefälscht. Von Antibiotika bis zur Antibabypille."

Riesige Gewinnmargen locken längst die Organisierte Kriminalität an, es werden nicht nur Lifestyle-Produkte gefälscht, sondern auch hochpreisige Krebsmedikamente. "In Deutschland halte ich die Gefahr durch gefälschte Medikamente zwar noch nicht für groß", sagt Wolf-Dieter Ludwig, Chefarzt für Krebsmedizin in Berlin und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. "Aber wir haben Patienten aus dem Ausland, aus Russland beispielsweise. Da ist es ein riesiges Problem. Bei manchen Medikamenten, etwa Antikörpern, sehen wir, dass die nicht wirken, weil sich die Blutwerte nicht verändern."

Mitteleuropa mag im Vergleich zu anderen Ländern gut dastehen. "Wir sind in Deutschland zwar noch auf der sicheren Seite", sagt André Said, von der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker. "Aber wir befinden uns seit Jahren im Wettbewerb mit Kriminellen, um zu verhindern, dass gefälschte Mittel hier in den Handel kommen. Produktions- und Vertriebswege sind verschlungen, da wäre mehr Transparenz unbedingt von Vorteil."

Deutschland galt einst als "Apotheke der Welt"

Denn auch in Deutschland lässt sich kaum nachverfolgen, wo welche Bestandteile einer Arznei herkommen. So hat das BfArM alle 17 546 Arzneimittel in ihrem Zuständigkeitsbereich auf ihre Herkunft untersucht. "Davon weisen 19 Prozent mindestens einen Wirkstoffhersteller in China und 37 Prozent mindestens einen Wirkstoffhersteller in Indien aus", teilt das BfArM mit. Bei vier von fünf Medikamenten aus der Apotheke kommt keine Substanz aus hiesiger Produktion, "78 Prozent der betrachteten Arzneimittel weisen keinen Wirkstoffhersteller in Deutschland aus".

Deutschland galt einst als "Apotheke der Welt", ehrwürdige Unternehmen wie Bayer und Höchst waren Weltmarktführer. Jetzt haben Preisdruck und Profitstreben dazu geführt, dass die Herstellung über die ganze Welt verteilt ist. Während bei jedem Hühnerei ein Stempel Aufschluss gibt über die Herkunft, ist bei Arzneimitteln sogar für Experten manchmal kaum nachzuvollziehen, wo was geschüttelt und gerührt wurde. "Die Produktion von Ausgangsstoffen, Wirkstoffen, Hilfsstoffen, Zwischenprodukten sowie die Endfreigabe kann an unterschiedlichen Orten stattfinden", sagt Maik Pommer vom BfArM. "Eine Kennzeichnung wie bei Eiern ist daher nicht möglich. Jedoch unterliegen auch Herstellungsstätten in Drittstaaten der Überwachung, die zum Teil von zuständigen Behörden aus EU-Mitgliedstaaten durchgeführt wird."

Kann das gelingen? Die schäbige Arzneimittelfirma in Indien, die in "Gift" gezeigt wird, war nicht künstliche Filmkulisse, sondern ein von der dortigen Zulassungsbehörde zertifizierter Produktionsort für Medikamente. Und kann es in Deutschland tatsächlich nicht zu Zwischenfällen durch gepanschte Medikamente kommen? Ist ausgeschlossen, dass auch hier Patienten an verunreinigten Arzneimitteln sterben wie Robert Allen 2008?

Im März 2017 rief die Firma Rotexmedica aus Schleswig-Holstein Teile ihrer Heparin-Injektionslösungen zurück. Nachdem die Mittel zur Blutverdünnung gegeben wurden, gab es "Meldungen zur Unwirksamkeit bei der Anwendung". Bei der beanstandeten Charge 60 502 handelte es sich um 205 000 Durchstechflaschen. 68 Kliniken und Institutionen in Deutschland waren beliefert worden. Zwar erklärte die Geschäftsführung von Rotexmedica, dass es "sich nicht um einen Qualitätsmangel" handele, "sondern um eine vermutete verminderte Wirksamkeit, bei der keine Patienten zu Schaden gekommen sind". Doch wie will man das ausschließen, wenn ein Medikament nicht ausreichend wirkt und beispielsweise Heparin das Blut nicht verdünnt, sodass Gerinnsel entstehen?

Auch der Wirkstoff aus der aktuell zurückgerufenen Heparin-Charge von Rotexmedica ist von einem Zulieferer aus China geliefert worden, allerdings sei dies "ein durch deutsche Behörden zertifizierter Lieferant", wie die Firma betont. Ob das ausreicht, um jene Qualität zu gewährleisten, die von Medikamenten zu recht erwartet wird, ist fraglich. Die letzte behördliche Kontrolle des chinesischen Heparin-Zulieferers sei nach Auskunft von Rotexmedica "im Juni 2014 durchgeführt worden".

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