Süddeutsche Zeitung

Pflegebericht:Erfolge und Mängel

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Von Nina von Hardenberg und Berit Uhlmann

Vor acht Jahren war die Studie noch eine Klageschrift, die gravierende Mängel in der Pflege offenbarte und die Branche aufwühlte. In seiner vierten Auflage aber erteilt der Pflege-Qualitätsbericht erstmals auch Lob: "Die Versorgungsqualität in Pflegeheimen ist besser geworden", heißt es in dem Dokument, das der Medizinische Dienst der Krankenkassen und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) am Mittwoch in Berlin vorstellten.

Die Prüfer hoben besonders hervor, dass immer weniger Heimbewohner freiheitsentziehenden Maßnahmen ausgesetzt sind. Stellte der Vorgängerbericht, der den Zeitraum Juli 2009 bis Dezember 2010 untersuchte, noch fest, dass 20 Prozent durch Bettgitter oder Gurte in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurden, waren es der jüngsten Prüfung zufolge nur 12,5 Prozent. Auch litten Bewohner zuletzt seltener an den gefährlichen Druckgeschwüren, die durch langes Liegen entstehen können. Ihr Ernährungszustand hatte sich ebenfalls verbessert. Kritisch bewerteten die Prüfer dafür, dass deutlich mehr Bewohner Windeln oder sogar Blasenkatheter trügen als noch vor drei Jahren.

Der Qualitätsbericht ist die größte Datensammlung zur Pflege in Deutschland. Er trägt die Ergebnisse der Kontrollen zusammen, die der Medizinische Dienst einmal jährlich unangekündigt in jedem Heim und jedem Pflegedienst durchführt. Die Prüfer klingelten dafür im Berichtsjahr 2013 deutschlandweit bei mehr als 12 000 Heimen und gut 11 000 ambulanten Pflegediensten, kontrollierten dort die Dokumentation und untersuchten insgesamt 146 000 pflegebedürftige Menschen körperlich. In der Vergangenheit kamen sie bei diesen Besuchen zum Teil zu besorgniserregenden Ergebnissen.

Vor acht Jahren etwa erschreckte der Bericht mit der Nachricht, dass jeder dritte Pflegebedürftige nicht ausreichend ernährt oder mit Flüssigkeit versorgt war. Dieses Problem scheint gelöst zu sein: 98 Prozent der Heimbewohner bescheinigte der Medizinische Dienst einen angemessenen Ernährungszustand. Allerdings erhielten elf Prozent keine ausreichende Unterstützung beim Essen.

Schwächen attestierten die Prüfer den Heimen dagegen bei der Betreuung von Schmerzpatienten. Immerhin 35 Prozent aller Heimbewohner leiden unter chronischen Schmerzen. Doch bei 20 Prozent von ihnen wurde die aktuelle Pein nicht genau erfasst. Schlimm ist das vor allem für Demenzkranke, die ihr Leid häufig nicht artikulieren können und dann vielleicht nur durch aggressives Verhalten auffallen, dessen Ursache unerkannt bleibt. Der Mangel fällt geringer aus als vor drei Jahren, "gleichwohl besteht weiter Optimierungsbedarf", heißt es im Bericht. "Mit einem modernen Schmerzmanagement könnte pflegebedürftigen Menschen viel Leid erspart werden, doch hier wird in vielen Pflegeeinrichtungen noch nicht genug getan", sagte Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbands.

"Es heißt aber nicht, dass alles gut ist"

Mängel gibt es auch bei der Vorbeugung von Druckgeschwüren. Zwar haben sich die Versäumnisse seit den Jahren 2009/2010 deutlich reduziert, was sich auch daran zeigt, dass die Prüfer solche Wunden zuletzt seltener feststellten (bei 3,8 Prozent der Bewohner statt zuvor 4,4 Prozent). Doch noch immer wird jeder vierte gefährdete Heimbewohner zu wenig vor dem Wundliegen geschützt. Bettlägerige müssen regelmäßig umgelagert werden oder spezielle Bettauflagen bekommen, um permanenten Druck vom Gewebe zu nehmen, der ansonsten zu großen, schwer zu heilenden Wunden führen kann.

Besonders kritisch sehen auch die Prüfer die Kontinenz. "Zu oft werden pflegebedürftige Menschen mit Windeln oder Kathetern versorgt, obwohl es gar nicht nötig wäre", kritisiert Peter Pick, Geschäftsführer des Spitzenverbandes des Medizinischen Dienstes. Er forderte, Pflegebedürftige beim Toilettengang besser zu unterstützen. 76 Prozent der Heimbewohner trugen 2013 Windeln oder andere Inkontinenzeinlagen, deutlich mehr als zuvor.

Experten kritisieren seit Jahren, dass alte Menschen gewickelt werden, weil den Pflegern die Zeit fehlt, sie zur Toilette zu bringen. "Die Qualität der Heime hat sich verbessert. Das heißt aber nicht, dass alles gut ist", sagte Pick. Eine Einschätzung der sich am Mittwoch auch andere Pflegeexperten anschlossen. "Wenn immer noch mehr als jeder zehnte Heimbewohner fixiert wird, ist das skandalös", sagte Helmut Wallrafen-Dreisow, Geschäftsführer der Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach, die mehrere städtische Heime unterhält. In seinen Einrichtungen werde nur ein Prozent fixiert. Es sei selten nötig, Bewohner anzugurten oder mit Bettgittern am Aufstehen zu hindern. Wenn Menschen stürzten, habe dies oft andere Gründe, etwa dass sie Medikamente nicht vertrügen.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2015
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