Patientensicherheit:Operation Offenheit

Patientensicherheit

Grafik: Stefan Dimitrov, SZ

Krank durchs Krankenhaus? Die Qualität von Kliniken offenzulegen ist eines der großen Vorhaben der Gesundheitspolitik. Größer noch ist die Frage, woran genau sich die Güte eines Krankenhauses bemessen lässt. Über wirkungslose Befragungen und hinkende Klinikvergleiche.

Von Berit Uhlmann

Die beste Klinik für die Herz-OP? Die Entbindung? Die Diagnose unklarer Schmerzen? Wer im Internet oder in Magazinen nach Antworten sucht, findet in erster Linie Wildwuchs. Ein und dasselbe Krankenhaus erhält in der einen Bewertung vier von fünf Sternen, in der nächsten drei von sechs. Ein weiteres Webangebot bescheinigt dem Haus eine 80-prozentige Patientenzufriedenheit, mehrere andere führen die Klinik gar nicht. Die Umfragen beruhen mal auf einigen Dutzend Klicks von Internetnutzern, mal auf bundesweiten Patienten- oder Ärztebefragungen, mal auf Berichten der Kliniken selbst.

So gesehen klingt es erst mal richtig und wichtig, dass nun auch das Bundesgesundheitsministerium plant, künftig mit einem Qualitätsinstitut die Güte von Kliniken zu vergleichen, um Patienten Entscheidungshilfen an die Hand zu geben. Nur, so bringt es Klaus Peter, ehemaliger Ärztlicher Direktor am Klinikum der LMU, auf den Punkt: "Wie soll das gehen?"

Wie sich Qualität im komplexen Gefüge einer Klinik messen lässt, war eine der zentralen Fragen des Gesundheitsforums, das die SZ gemeinsam mit der Bayerischen Krankenhausgesellschaft veranstaltete. Denn das Krankenhaus ist eben keine Pizzeria, wo Sternchen anhand einer simplen Checkliste verteilt werden können. Fraglich ist zum einen, welche Kriterien man heranziehen soll: Überlebensrate, allgemeiner Gesundheitszustand der Patienten oder auch deren Lebensqualität? Und wann sollen die Werte erhoben werden: bei der Entlassung oder erst Monate bis Jahre danach, wenn eventuelle Spätkomplikationen mit einbezogen werden können?

Die Fragen werfen im einfachen Fall praktische Schwierigkeiten, unter Umständen aber auch Widersprüche oder ethische Probleme auf. Denn wie soll berücksichtigt werden, wenn ein unheilbar kranker Mensch einen weiteren Behandlungsversuch ausschlägt und damit zwar früher, aber insgesamt zufriedener stirbt?

Schwer zu beantworten ist auch die Frage, auf welche Art die Informationen über die Qualität gewonnen werden können. Patientenbefragungen, auf denen die meisten der derzeit angebotenen Bewertungsportale beruhen, sind nur wenig aussagekräftig. Kranke in Kliniken beurteilen - wenn sie sich überhaupt äußern - häufig Dinge wie die Güte des Essens, die Freundlichkeit des Personals oder die Ausstattung der Krankenzimmer, das erfährt Karl-Walter Jauch, Ärztlicher Direktor am Klinikum der LMU, immer wieder. Ob sie wirklich die optimale Behandlung erhalten haben, können die meisten Patienten gar nicht abschätzen - und schon gar nicht, ob die Therapie anderswo besser oder schlechter gewesen wäre.

Wer Vergleichbarkeit will, braucht umfassende Programme, in die viele Kliniken ihre Daten einspeisen. Solche Angebote gibt es bereits. Die teilnehmenden Häuser erhalten detaillierte Übersichten, die ihnen zeigen, wo sie, im Vergleich zu den Ergebnissen anderer Kliniken, liegen.

Doch mitunter hinken die Vergleiche, wie Jauch an einem Beispiel erläutert: Mit der Auswertung erhielt das Klinikum die Botschaft, dass hier mehr Menschen nach einem Schlaganfall sterben als in anderen Kliniken. Als die Mediziner die Fälle noch einmal durchgingen, zeigte sich, dass unheilbar kranke Patienten mitgezählt wurden, die auf der Palliativstation des Klinikums gestorben waren. Häuser, die ihre schwerkranken Patienten anderswohin entlassen hatten, verzeichneten geringere Sterberaten. Welche Bewertung kann all solchen Fällen gerecht werden?

Mindestmengen klingen unsympathisch, sind oft aber hilfreich

Eine weitere Kenngröße, die Rückschlüsse auf die Qualität einer Klinik erlaubt, sind die Fallzahlen. So sagt Uwe Hasbargen, Leiter des Perinatalzentrums am Klinikum Großhadern: "Studien zeigen klar, dass sehr früh geborene Kinder bessere Überlebenschancen haben, wenn sie in spezialisierten Zentren betreut werden." In solchen Einrichtungen werden mehr Kinder behandelt, die Ärzte haben größere Erfahrungen.

Doch "Zentralisierung" und "Mindestmengen" - solche Begriffe klingen nicht nur unsympathisch, sondern sind auch umstritten. Kleinere Kliniken fürchteten um Arbeitsplätze, den Verlust von Erfahrung und längere Wege für werdende Mütter. Für die Neonatologie ließ sich die stärkere Zentralisierung bislang nicht durchsetzen. So gibt es allein in Bayern 30 Einrichtungen, die pro Jahr insgesamt etwa 575 Frühgeburten mit einem Geburtsgewicht von jeweils weniger als 1000 Gramm behandeln. Rein rechnerisch kommen damit auf jedes Zentrum nur 19 dieser extrem kleinen Frühchen. Zum Vergleich: Für eine etwas größere Zahl an Transplantationen genügen im Freistaat sechs Zentren. Im Schnitt sammelt jede Einrichtung jährlich Erfahrungen an 123 Patienten.

Und doch sind große Zentren nicht alleiniger Garant für eine hohe Qualität, wie die Unfallmedizin zeigt. Unfallopfer mit verschiedenen schweren Verletzungen werden in interdisziplinären Traumazentren behandelt. Eine Auswertung der Überlebensraten von mehr als 300 dieser Zentren ergab, dass auch kleinere Einrichtungen oft recht gute Ergebnisse erzielen.

Ein Grund, vermutet Volker Bühren, Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau, könnte die gute Vernetzung dieser Häuser sein. Die Mitglieder arbeiten in der Patientenversorgung eng zusammen. So können kleinere Kliniken ungewöhnlich schwere Fälle an besser geeignete Einrichtungen übergeben. Auch in der Aus- und Fortbildung kooperieren die Zentren, sodass überall umfassendes Wissen verfügbar ist.

90 Prozent der Unfallopfer überleben, doch zu welchem Preis?

"Die Überlebensprognosen der deutschen Unfallkliniken sind besser als der weltweite Durchschnitt", sagt Bühren. Etwa 90 Prozent der Patienten verlassen die Klinik lebend. Das spricht für die Qualität der Einrichtungen, und doch hakt auch diese Bilanz. Denn wie es den Menschen nach der Entlassung geht, wie viele sich komplett wieder erholen oder wie viele zu schweren Pflegefällen werden, wird nicht erfasst. Ähnliches sagt Hasbargen über die Frühchen: "Wir messen den Behandlungserfolg nur bis zur Entlassung der Kinder. Wie sie sich entwickeln, wissen wir nicht."

Sind all die Befragungen und Klinikvergleiche nun überhaupt aussagekräftig? Patienten ohne Kenntnisse des Gesundheitswesens werden sich schwerlich an ihnen orientieren können. Wichtiger sind sie momentan - da waren sich die Experten einig - für die Kliniken selbst. Sie helfen Ärzten, genauer herauszufinden, wann und wo es Auffälligkeiten gibt.

Eine solche Analyse der eigenen Stärken und Schwächen haben zum Beispiel Anästhesisten und Intensivmediziner in einer europaweiten Studie mit mehr als 46 500 Teilnehmern vorgenommen. Sie stellten fest, dass innerhalb von sieben Tagen nach einer Operation vier Prozent der Klinikpatienten starben. In Deutschland waren es 2,5 Prozent. Damit lag die Bundesrepublik im oberen Drittel; "doch die Rate war höher als erwartet", sagt Eberhard Kochs, Leiter der Klinik für Anästhesiologie am Klinikum rechts der Isar.

Ein genauer Blick offenbarte, dass sich 85 Prozent der Todesfälle auf Normalstationen ereigneten, wo eine permanente Überwachung nicht gewährleistet ist. "Trotzdem kann es nicht Ziel sein, dass alle Operierten routinemäßig auf Intensivstationen behandelt werden", kommentiert Kochs die Ergebnisse. Eine weitere europäische Studie hatte nämlich gezeigt, dass die hohe Sterberate durch eine sorgfältige Überwachung auf Normalstationen deutlich gesenkt werden kann, indem gefährdete Patienten vorsorglich behandelt werden.

Kochs: "Wir müssen diejenigen besser identifizieren, bei denen Probleme auftreten können." Dabei komme es auf eine Zusammenarbeit von Ärzten verschiedener Fachrichtungen an - und auf etwas, das kein noch so gutes Bewertungstool erfassen kann: einen individuellen Blick auf den Patienten. Schließlich dürfe man nicht vergessen, das gibt Klinikchef Jauch der Politik mit auf den Weg: "Qualität kostet." Studien, Fortbildungen, Kooperationen und Gespräche mit den Patienten benötigen Zeit, die schrumpft, wenn die Kliniken permanent an der Kapazitätsgrenze arbeiten.

Die Experten des Gesundheitsforums

  • Professor Dr. Volker Bühren, Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau
  • Privatdozent Dr. Uwe Hasbargen, Leiter des Perinatalzentrums Geburtshilfe und stellvertretender Direktor der Frauenklinik der LMU
  • Siegfried Hasenbein, Geschäftsführer, Bayerische Krankenhausgesellschaft
  • Professor Hans-Jürgen Hennes, Medizinischer Geschäftsführer, Städtisches Klinikum München GmbH.
  • Professor Dr. Karl-Walter Jauch, Ärztlicher Direktor, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität
  • Professor Dr. Dipl.-Phys.Eberhard Kochs, Leiter der Klinik für Anaesthesiologie, Klinikum rechts der Isar
  • Professor Dr. Klaus Peter, ehem. Ärztlicher Direktor, Klinikum der LMU
  • Professor Dr. Jens Werner, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Transplantations-, Gefäß- und Thoraxchirurgie, Klinikum der LMU
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