Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Welche Maßnahmen etwas bringen

Von Schulschließung bis Kontaktbeschränkung: Wie wirksam unterschiedliche Alltagseinschränkungen gegen die Pandemie sind, zeigt eine große Analyse.

Von Werner Bartens

Wer im Jahr 2020 auf den Umgang mit der Pandemie zurückblickt, kann Fragen wohl kaum unterdrücken. Welche politischen Anordnungen waren hilfreich? Was haben die Einschränkungen gebracht? Die Welt hat in den vergangenen zwölf Monaten gezwungenermaßen die Bühne für einen Großversuch abgegeben. Kontakteinschränkungen, Lockdown light, harter Lockdown und andere Versuche, die Seuche einzudämmen, wurden in vielen Ländern zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich intensiv praktiziert.

Forscher aus Oxford, Harvard und anderen angesehenen Forschungsstätten haben nun im Fachmagazin Science zu ermitteln versucht, wie sinnvoll die Interventionen waren, um die Ausbreitung von Sars-CoV-2 einzudämmen. Sie konnten dabei von dem Umstand profitieren, dass die Gebote, Verbote und Einschränkungen zeitlich versetzt erfolgten. Wäre alles gleichzeitig geändert worden, hätte nicht unterschieden werden können, welche Faktoren großen Einfluss auf das Infektionsgeschehen hatten und welche kaum etwas brachten.

"Bildungseinrichtungen zu schließen, Zusammenkünfte auf zehn oder weniger Menschen zu begrenzen und Geschäfte und Lokalitäten mit engem Kundenverkehr zu schließen, hat die Übertragung erheblich reduziert", lautet die wichtigste Schlussfolgerung der Autoren. "Zusätzliche Ausgangssperren oder Anweisungen, zu Hause zu bleiben, haben vergleichsweise wenig Wirkung gezeigt."

Die Rolle der Schulen und Universitäten für die Übertragung ist demnach womöglich größer als gedacht. Allerdings wurden Bildungseinrichtungen in dieser Analyse zusammengefasst, obwohl es biologische, soziale und Verhaltensunterschiede zwischen Studierenden und Grundschülern gibt. Junge Leute Anfang 20 halten sich Erhebungen zufolge von allen Altersgruppen am wenigstens an Abstands- und Maskengebote; zudem haben sie mehr Kontakte als Ältere oder Jüngere. Wie häufig Übertragungen in Bildungseinrichtungen tatsächlich vorkommen oder ob der Effekt auf das Infektionsgeschehen dadurch bedingt war, dass Schulschließungen als Signal für den Ernst der Lage verstanden wurden, konnte aus den Daten nicht abgeleitet werden.

Das Team um Jan Brauner von der Uni Oxford hatte anhand detaillierter Modellrechnungen die Wirksamkeit der Beschränkungen in 41 Ländern analysiert. So zeigte sich, dass es wenig zusätzlichen Nutzen brachte, wenn neben Bars, Nachtclubs und Restaurants auch Geschäfte für den nicht lebensnotwendigen Bedarf geschlossen wurden. "Gezielte Schließungen wären in vielen Situationen eine vielversprechendere politische Option", so die Autoren. Veranstaltungen auf 1000 oder 100 Teilnehmer zu begrenzen, wie zu Beginn der Pandemie, brachte wenig, die Verringerung auf zehn deutlich mehr.

Ausgangsverbote wie in Spanien bringen wenig zusätzlichen Nutzen

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"Die Arbeit wirft auf beeindruckende Weise einen Blick auf die Auswirkungen von Regierungsmaßnahmen auf die Reproduktionszahl in verschiedenen Ländern", sagt Studienexperte Gerd Antes. "Solche Arbeiten sind unbedingt notwendig und ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings unterliegen sie Einschränkungen durch Defizite in den Daten und Modellen."

Skeptisch zeigen sich die Studienautoren gegenüber den in Spanien, Italien und neuerdings regional in Deutschland verordneten Ausgangsbeschränkungen. Da diese meist auf Geschäftsschließungen, Distanzunterricht und Veranstaltungsverbote folgten, bringe diese weitere Verschärfung kaum zusätzlichen Nutzen. "Die Arbeit diskutiert auf hervorstechender Weise die Unsicherheiten und deren Gründe, die mit den Interventionen zusammenhängen", sagt Antes.

Womöglich hat oftmals politischer Aktivismus und nicht wissenschaftliche Stringenz die Regierungen zu ihren Maßnahmen veranlasst. Man tut etwas, um überhaupt etwas zu tun. Gelegentlich schien das Motto zu gelten, wir ordnen an, was bisher schon wenig gebracht hat - aber davon die doppelte Dosis.

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