Palliativmedizin:Die letzten Stunden am liebsten daheim

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In vielen Teilen Deutschlands gibt es mittlerweile Angebote für eine ambulante Sterbebegleitung. Dennoch werden viele Todkranke für ihre letzten Lebenswochen noch in ein Krankenhaus gebracht. (Foto: Thilo Schmülgen/imago)

Die meisten Patienten möchten zu Hause sterben, das zeigt eine aktuelle Umfrage. Tatsächlich ist Pflege bis ans Lebensende jenseits von Kliniken in vielen Fällen möglich - eigentlich.

Von Kim Björn Becker, München

Im dem Büroraum stehen sechs Schreibtische, alle verwaist bis auf einen. "Die Kollegen sind noch draußen bei den Patienten", sagt Johannes Bükki, weißes Hemd, graue Jeans. Neben ihm auf dem Boden steht sein orangefarbener Notarztkoffer. Die Schmerzmittel für kaum erträgliches Leid sind in einem Tresor deponiert, so will es das Betäubungsmittelgesetz. Bükki ist Onkologe und einer von zwei Ärzten beim Münchner Hospiz-Dienst "Da sein". Mit ihm sind noch sechs Pfleger und ein Sozialpädagoge für die härtesten Fälle im Stadtgebiet von München zuständig: Für Schwerstkranke, die nur noch einen Wunsch haben - zu Hause sterben zu können.

Wenn man die Deutschen danach fragt, wo sie ihre letzten Stunden verbringen wollen, antworten 60 Prozent von ihnen: daheim. Doch die Mehrheit der Menschen hört nicht in der eigenen Wohnung auf zu atmen, das ist nur bei jedem fünften so. Stattdessen sterben drei Viertel im Krankenhaus oder im Pflegeheim - obwohl vermutlich kaum jemand von ihnen das wollte. Inzwischen können sich einige Befragte (16 Prozent) auch vorstellen, in einem stationären Hospiz zu sterben. Doch auch dort werden nur etwa drei Prozent aller Tode registriert. Das geht aus einer Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit hervor, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Demnach verbringen zwei Drittel aller Menschen ihre letzten Stunden nicht dort, wo sie wollen - statistisch gesehen.

Eine "ausgeprägte Skepsis" gegenüber Kliniken und Pflegeheimen

Wie oft Wunsch und Wirklichkeit tatsächlich kollidieren, kann kein Wissenschaftler ganz genau sagen. Denn repräsentative Umfragen zum gewünschten Sterbeort sind das eine, Statistiken darüber das andere. Die DAK hat für ihre Studie eine repräsentative Umfrage beim Meinungsforschungsinstitut Allensbach in Auftrag gegeben und die Ergebnisse dann mit Zahlen zum Sterbeort abgeglichen, das erlaubt immerhin eine möglichst große Annäherung an ein ohnehin schon schwieriges Thema.

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Die Ergebnisse der Umfrage ließen eine "ausgeprägte Skepsis" gegenüber der Versorgung in Kliniken und Pflegeheimen erkennen, sagte DAK-Chef Herbert Rebscher. Dieser Befund ist unstrittig: Zusammen nur etwa sieben Prozent der Befragten konnten sich vorstellen, in einer dieser Institutionen ihr Leben zu beenden. Dass diese Angst vielfach berechtigt sein kann, zeigt ein weiteres Ergebnis des Reports: Demnach stirbt im Krankenhaus jeder fünfte Patient allein, im Pflegeheim sogar jeder dritte. In der eigenen Wohnung sind nur etwa sieben Prozent der Sterbenden allein. Dass sich der Wunsch, an einem bestimmten Ort zu sterben, im Zuge einer tragischen Diagnose aber auch verändern kann - etwa von der Wohnung hin zur gut ausgestatteten Klinik -, ist gleichwohl ebenfalls denkbar. Darauf kann die Statistik freilich nur schwer eine Antwort geben.

Doch warum wünschen sich so viele, ihre letzten Stunden im eigenen Haus, in der eigenen Wohnung verbringen zu können? Für den Palliativmediziner Bükki ist das eine Frage der Kultur: "Selbstbestimmung hat einen sehr hohen Stellenwert, den verbinden die meisten eben mit ihrem Zuhause. Dort fühlen sie sich nicht so ausgeliefert."

Ein "möglichst flächendeckendes Angebot" bei der Sterbebegleitung

Dieser Wunsch führt dazu, dass es inzwischen vielerorts in Deutschland Angebote für eine ambulante Sterbebegleitung gibt. In besonders schweren Fällen - etwa bei sehr starken Schmerzen, komplizierten Diagnosen oder überforderten Angehörigen - werden Bükki und seine Kollegen aktiv. Das Team für die "spezialisierte ambulante Palliativversorgung" (SAPV) hat im vergangenen Jahr fast 220 Münchner und ihre Familien betreut, in der Stadt gibt es gleich mehrere dieser Teams - sie begleiten Todkranke teils lose über Jahre, teils intensiv, je nach Krankheitsverlauf. Seit fast zehn Jahren haben gesetzlich Versicherte nun schon einen Rechtsanspruch, dass ihre Kasse die Kosten dafür trägt. Doch noch gibt es dieses Angebot in Deutschland noch nicht überall, daran konnte auch das Hospiz- und Palliativgesetz von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nichts ändern. Auch nachdem es in Kraft getreten ist, gibt das Ministerium das Ziel aus, dass im Land ein "möglichst flächendeckendes Angebot" bei der Sterbebegleitung entstehen soll.

Die meisten Münchner, die der Hospizdienst "Da sein" im vergangenen Jahr betreut hat, konnten an einem vertrauten Ort sterben, schreibt der gemeinnützige Verein in seinem Jahresbericht. Nur manchmal, sagt der leitende Palliativpfleger Werner Rattensberger, müsse ein Patient dann doch ins Krankenhaus gebracht werden - etwa wenn die Versorgung zu Hause nicht mehr sichergestellt oder wenn die Angehörigen mit der Situation völlig überfordert seien. "Es wird für uns zum Beispiel sehr schwierig, wenn ein Patient allein lebt und dement ist", sagt er.

DAK-Chef Rebscher stört sich schließlich daran, dass viele Todkranke in ihren letzten Lebenswochen noch einmal ins Krankenhaus gebracht werden. Dies widerspreche nicht nur den erklärten Wünschen der meisten Menschen, sondern belaste auch das Solidarsystem. Aus den Daten von etwa 60 000 verstorbenen Versicherten der drittgrößten deutschen Krankenkasse geht hervor, dass fast zwei Drittel im letzten Quartal vor ihrem Tod ins Krankenhaus kamen, ein Aufenthalt dort koste im Schnitt 9000 Euro. Man könne davon ausgehen, so Rebscher, dass viele Einlieferungen vermeidbar sind. Das sieht auch Johannes Bükki so: "Gerade Ärzte, die kaum Todkranke begleiten, sind oft zu optimistisch, was die Erfolgsaussichten einer Behandlung im Endstadium angeht", sagt er. Und natürlich gebe es auch Patienten, die ihren Arzt drängen, alles zu versuchen - sie gingen aus Verzweiflung freiwillig in die Klinik, wenn sie dafür ein paar Tage mehr bekommen können.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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