Palliativmedizin:Am Ende nur Schweigen

Viele Todkranke wollen Klartext und Trost. Ärzte reagieren mit Ausflüchten und Aktionismus. Wie groß die Unterschiede zwischen Patientenwünschen und Krankenhausalltag sind, haben kanadische Forscher jetzt erkundet.

Von Werner Bartens

Es gibt Lebensphasen, in denen Anspruch und Wirklichkeit besonders weit auseinander klaffen. So geben die Bundesbürger in Umfragen regelmäßig an, dass sie - wenn es so weit ist - am liebsten zu Hause sterben würden. Tatsächlich kommen aber 90 Prozent der Menschen ins Krankenhaus, bevor sie der Tod trifft. Statt bis zum Schluss im Kreise ihrer Angehörigen zu bleiben und dann friedlich einzuschlafen, werden viele Patienten in der Klinik mit hohem technischen Aufwand betreut und "hängen an Schläuchen und Kabeln", wie die intensivmedizinischen Bemühungen oft abschätzig umschrieben werden. Der verständliche Wunsch, das Leben zu verlängern, führt bei Ärzten wie Angehörigen gleichermaßen dazu, dass der Tod doch meist in der Klinik eintritt und nicht zu Hause.

Ärzte aus Kanada zeigen im Fachblatt Canadian Medical Association Journal (online), was sich Patienten und Familienmitglieder zum Lebensende wünschen - und wie die ärztlichen Empfehlungen und der medizinische Umgang mit unheilbarer Krankheit und Tod aussehen. Die Unterschiede zwischen Patientenwünschen und Krankenhausalltag sind erstaunlich groß. Wer unheilbar krank ist, wünscht sich, dass Pflege, Fürsorge und Betreuung einen wichtigen Stellenwert haben und dass die Werte der Patienten, ihre Wünsche, Überzeugungen und Bedürfnisse im Umgang mit Ärzten und Pflegepersonal an erster Stelle stehen.

Anders als Ärzte oft vermuten, wollen Patienten auch klar über ihre Prognose informiert werden. Zwar können Mediziner nie genau sagen, wie lange ein Schwerkranker zu leben hat. Aber zu Aussichten, üblichen Verläufen und häufigen Komplikationen lassen sich durchaus Aussagen treffen.

In einer immer stärker von der Ökonomie geprägten Medizin bleibt für Trost oft keine Zeit mehr

Für Patienten und Angehörige ist es außerdem wichtig, dass sie mit Ärzten und Pflegekräften über Ängste und Sorgen reden können und dass sie möglichst konkret über weitere Schritte der Betreuung und palliative Angebote informiert werden. "Obwohl diese Punkte für Schwerkranke und ihre Angehörigen so wichtig sind, werden diese Aspekte viel zu selten besprochen", sagt John You, der die Studie geleitet hat. "Die Übereinstimmung zwischen dem, was Patienten wollen und dem, was tatsächlich passiert und in ärztlichen Richtlinien für die Begleitung am Lebensende angegeben wird, ist gering."

Von den elf Punkten, die als wichtige Elemente in dieser Phase angegeben werden, wurden aus Patientensicht nur durchschnittlich 1,4 ausreichend diskutiert. Die kanadischen Ärzte hatten 233 schwerkranke Patienten und 205 Angehörige befragt, was sie sich in der letzten Lebensphase im Krankenhaus wünschen - und die Ergebnisse mit den Empfehlungen abgeglichen.

Patienten wie Angehörige haben im Krankenhaus oft das Gefühl, Ärzte würden gerade bei Schwerkranken das Gespräch scheuen und nicht klar aussprechen, wie schlecht es um den Patienten steht. Manche Ärzte sehen einen "austherapierten" Patienten, der nicht mehr gesund wird, auch als persönliche Niederlage an, als medizinisches Scheitern. Dabei beginnt in der Phase, in der Chirurgie, Arzneitherapie und andere Methoden nicht mehr zur Heilung führen können, eine der wichtigsten ärztlichen Aufgaben: Die Betreuung und Begleitung des Patienten bis zum Tod.

In einer immer stärker von der Ökonomie geprägten Medizin bleibt für solche Gespräche, für Trost, Fürsorge und Barmherzigkeit aber oftmals keine Zeit mehr. "In dem Augenblick, in dem Fürsorge dem Profit dient, hat sie die wahre Fürsorge verloren", hat der Harvard-Kardiologe Bernard Lown in seinem Buch "Die verlorene Kunst des Heilens" schon vor Jahren beklagt.

Manchmal sind es allerdings auch Patienten und Angehörige, die dem Thema Tod und Sterben aus dem Weg gehen. "Wie gerne hätte ich sie während der Monate ihrer Krankheit bis zu ihrem Tod irgendwie getröstet", schreibt David Rieff über das Leiden seiner Mutter, der amerikanischen Essayistin und Medizinkritikerin Susan Sontag. "Stattdessen sprachen wir fast bis zu dem Augenblick, in dem sie starb, von ihrem Überleben, von ihrem Kampf gegen den Krebs und nie vom Sterben. Ich wollte das Thema nicht ansprechen, solange sie es nicht tat. Es war ihr Tod, nicht meiner."

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