Süddeutsche Zeitung

Knochenschwund:"Osteoporose ist eine absolut tödliche Volkskrankheit"

  • Fünf bis sechs Millionen Menschen leiden in Deutschland an Osteoporose. Von Knochenschwund betroffen sind vor allem Frauen nach den Wechseljahren, aber auch bei Männern steigt das Risiko mit dem Alter an.
  • Die Krankheit bleibt häufig lange unerkannt. Experten bemängeln, dass zu wenig in Prophylaxe investiert werde.
  • Osteoporose-Patienten sollten sich ausreichend bewegen, gesund ernähren und ihr Leben möglichst barrierefrei gestalten. Unter Umständen kommen Nahrungsmittelzusätze wie Vitamin D oder Kalzium in Frage.

Von Jacqueline Lang

Dass sie krank sind, merken die meisten Betroffenen erst, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Fünf bis sechs Millionen Menschen leiden in Deutschland an Osteoporose. Sie müssten besonders gut auf sich achten, um ihre durch den Knochenschwund fragilen Knochen zu schützen. Doch häufig erfahren sie erst von ihrer Krankheit, wenn sie sich bei einem Sturz einen Knochenbruch zuziehen. Das hat oft genug schwere Folgen, wenn etwa der Oberschenkelhals betroffen ist oder ein Wirbelkörper. Warum die Krankheit trotzdem lange unerkannt bleibt und wie man sie behandeln kann, darüber sprachen fünf Experten beim Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung zum Thema Osteoporose.

Betroffen sind vor allem Frauen nach den Wechseljahren. Aber auch bei Männern steigt das Risiko für Osteoporose im Alter an, erläuterte der Endokrinologe und Osteologe Ralf Schmidmaier. Dabei könnten die Frakturen häufig lebensbedrohlich werden, warnte Wolfgang Böcker. In seiner Klinik für Unfallchirurgie hat die Zahl der Osteoporosepatienten in den vergangenen Jahren stark zugenommen. "Die Osteoporose ist heute der beste Zuweiser des Unfallchirurgen", sagte Böcker. Nicht mehr Motorradfahrer und andere Opfer des Straßenverkehrs machten den Hauptanteil unter seinen Patienten aus, sondern Menschen mit Knochenschwund. Dass mit dieser vermeintlich harmlosen Krankheit nicht zu spaßen ist, veranschaulichte Böcker so: "Etwa 30 Prozent aller Patienten, die eine Hüftfraktur erleiden, sterben innerhalb eines Jahres. "Osteoporose ist eine absolut tödliche Volkskrankheit", warnte er.

Vitamin D oder Kalzium sind in der Regel nicht erstattungsfähig

Gerade deshalb ist es fatal, dass die wenigsten Hausärzte ihre Patienten auf Osteoporose untersuchen. Und Spezialisten auf dem Gebiet der Osteoporose, sogenannte Osteologen, gibt es nur sehr wenige. Roland Gärtner sieht die Schuld für die oft mangelnde Diagnostik aber nicht nur bei den Ärzten, sondern vor allem bei den Krankenkassen. "Ärzte bekommen für die Diagnose mithilfe der Knochendichtemessung sehr wenig Geld, das ist ein großes Problem", sagte der Endokrinologe. Sich auf Osteologie zu spezialisieren, rechnet sich demnach nicht. Gärtner sieht aber noch ein weiteres Problem: Bisher werde wenig in die Prophylaxe und viel in die Therapie investiert. "Das sollte man grundsätzlich ändern." Denn, so argumentierte Gärtner: Am Ende sei das für alle besser - und sogar billiger.

Es sei für Patienten in der Tat kompliziert, sich prophylaktische Maßnahmen von der Krankenkasse ersetzen zu lassen, räumte Steffen Hilfer von der AOK Bayern ein. Präparate mit Vitamin D oder Kalzium seien in der Regel nicht erstattungsfähig. Noch dazu wird eine Osteoporose derzeit erst dann als solche anerkannt, wenn bereits ein Bruch eingetreten ist. Auch Hilfer kritisierte dies. Aber er betonte: Die Entscheidungen darüber, was die gesetzlichen Krankenkassen ersetzen, fällen nun einmal nicht die Kassen, sondern der Gemeinsame Bundesausschuss. Den Kassen seien die Hände gebunden.

Dem Gemeinsamen Bundesausschuss muss man zugutehalten, dass die Studienlage zum Nutzen von Vitamin D als Bruchprophylaxe bei Osteoporose strittig ist. Zuletzt gab es Berichte, wonach Vitamin D und Kalzium nicht wirken. Christoph Auernhammer, Oberarzt in der Endokrinologie am Münchner Universitätsklinikum, ist dennoch klarer Befürworter von Ergänzungspräparaten. Er ist der Ansicht, dass die Einnahme von Kalzium und insbesondere von Vitamin D bei älteren Menschen helfen kann, die Frakturrate um zehn bis 15 Prozent zu senken. "Das klingt im ersten Moment vielleicht nicht nach viel", sagte Auernhammer. Doch die Therapie sei kostengünstig und nebenwirkungsarm, deshalb stimme das Nutzen-Risiko-Verhältnis.

Die Experten

Prof. Dr. Christoph Auernhammer, Oberarzt an der Medizinischen Klinik IV der Universität München (LMU), Campus Großhadern / Prof. Dr. Wolfgang Böcker, Direktor der Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der LMU / Prof. Dr. em. Roland Gärtner, Medizinische Klinik IV der LMU, Campus Innenstadt / Dr. Steffen Hilfer, Ärztlicher Berater der AOK Bayern / Prof. Dr. Ralf Schmidmaier, Stv. Direktor der Medizinischen Klinik IV der LMU, Campus Innenstadt / Moderation: Dr. Christina Berndt Wissenschaftsredakteurin der Süddeutschen Zeitung

Roland Gärtner wies auf eine weitere Folge eines Mangels an Vitamin D hin: Dieser könne auch zu einem Herabsinken des Kalziumspiegels im Blut führen, weil Kalzium über die Nieren verloren geht. Das wiederum hat zur Folge, dass die Mineralisierung des Knochengewebes nicht mehr richtig funktioniert. Wer Kalziumpräparate einnimmt, muss allerdings aufpassen, dass er es nicht zu hoch dosiert. Ansonsten lagert sich Kalk im Gewebe ab, zum Beispiel in Form von Nierensteinen.

Wie seine Kollegen ist auch Ralf Schmidmaier davon überzeugt, dass viele Brüche durch Prävention vermieden werden könnten. Neben der Einnahme von Vitamin D und Kalzium ist es aus seiner Sicht wichtig, dass die Patienten sich bewegen, gesund ernähren und ihr Leben möglichst barrierefrei gestalten, damit das Risiko gering ist, über eine Türschwelle zu stolpern. Selbsthilfegruppen könnten helfen, mögliche Risiken im Alltag zu erkennen und zu vermeiden, sagt Schmidmaier, der das Osteologische Schwerpunktzentrum am Klinikum der Universität München leitet.

Das Risiko eines Sturzes zu minimieren, ist deshalb so wichtig, weil 40 bis 50 Prozent aller älteren Menschen nach einem schweren Bruch auf Gehhilfen angewiesen sind. In vielen Fällen bleibe das Leben nach einem Bruch dauerhaft eingeschränkt, sagte Schmidmaier: "Ein Schenkelhalsbruch ist häufig auch ein Bruch im Leben." Trotzdem würde er nicht dazu raten, jegliche Art von körperlicher Betätigung zu meiden: "Bleiben Sie aktiv, machen Sie das, was Ihnen Spaß macht", sagte er. Wer sich sportlich betätige, trainiere Kraft und Koordination. Auch das könne vor einem Sturz bewahren.

70 bis 80 Prozent der Betroffenen setzen die Arzneimittel ohne Absprache wieder ab

Aber trotz aller Präventionsmaßnahmen, die Patienten selbst in ihren Alltag integrieren können, sprach sich Schmidmaier nicht gegen Medikamente aus. Knochenaufbauende Arzneimittel würden die Wahrscheinlichkeit einer Fraktur enorm senken: "Mit der Einnahme von Bisphosphonaten können Sie wahrscheinlich zwei von drei Brüchen verhindern." Neue Medikamente können sogar noch mehr als nur Brüche verhindern, sie regen die Bildung von neuen Knochen an. Zu diesen Mitteln gehört der Antikörper Romosozumab, der vor Kurzem in den USA zugelassen wurde. Die europäische Zulassungsbehörde EMA hat sich vor wenigen Tagen dennoch gegen die Zulassung des Antikörpers entschieden, weil kardiovaskuläre Risiken nicht auszuschließen sind. Auch viele andere, bereits zugelassene knochenaufbauende Medikamente, sind nicht frei von Nebenwirkungen. Es sei aber nicht immer klar, ob Symptome wie Zahnausfall nun altersbedingt seien oder eine Nebenwirkung des jeweiligen Medikaments, gab Schmidmaier zu bedenken.

Ein generelles Problem aller Osteoporosemedikamente aber ist: Die Patienten merken nicht direkt etwas von der schützenden Wirkung für ihre Knochen. Dass weniger Brüche eintreten, ist eben nur ein indirekter Effekt. Deshalb setzen 70 bis 80 Prozent der Betroffenen die Arzneimittel ohne vorherige Absprache mit dem behandelnden Arzt wieder ab.

Der Unfallchirurg Wolfgang Böcker glaubt, dass es schon helfen würde, wenn die Kommunikation zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich besser funktionierte. Wie das ablaufen kann, zeigt ein Beispiel aus Schottland: Bereits in den Neunzigerjahren habe man in Glasgow einen sogenannten Fracture Liaison Service (FLS) installiert. Koordinatoren kümmern sich darum, dass nach einem Klinikaufenthalt der Hausarzt informiert und eine Therapie angeordnet wird; sie erklären dem Patienten aber auch, wie etwa Stürze in Zukunft vermieden werden können. In Ländern, in denen es solch einen Dienst gebe, sei die Zahl der Folgefrakturen nachweislich gesunken, sagte Böcker.

Die Unfallchirurgie der Universität München gehört deutschlandweit zu den wenigen Zentren, in denen ein solcher Service angeboten wird. Von Oktober 2019 an wollen 18 weitere Kliniken in Bayern diese Art der Versorgungsstruktur für zunächst vier Jahre testen. Böcker sagte, das sei notwendig: Auch nach einem osteoporosebedingten Knochenbruch erhielten 90 Prozent der Frauen und 97 Prozent der Männer bisher keine Behandlung. "Dabei ist eine bereits erlittene Fraktur der größte Risikofaktor für eine weitere Fraktur."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4517479
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.07.2019/cvei
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.