Wie seine Kollegen ist auch Ralf Schmidmaier davon überzeugt, dass viele Brüche durch Prävention vermieden werden könnten. Neben der Einnahme von Vitamin D und Kalzium ist es aus seiner Sicht wichtig, dass die Patienten sich bewegen, gesund ernähren und ihr Leben möglichst barrierefrei gestalten, damit das Risiko gering ist, über eine Türschwelle zu stolpern. Selbsthilfegruppen könnten helfen, mögliche Risiken im Alltag zu erkennen und zu vermeiden, sagt Schmidmaier, der das Osteologische Schwerpunktzentrum am Klinikum der Universität München leitet.
Das Risiko eines Sturzes zu minimieren, ist deshalb so wichtig, weil 40 bis 50 Prozent aller älteren Menschen nach einem schweren Bruch auf Gehhilfen angewiesen sind. In vielen Fällen bleibe das Leben nach einem Bruch dauerhaft eingeschränkt, sagte Schmidmaier: "Ein Schenkelhalsbruch ist häufig auch ein Bruch im Leben." Trotzdem würde er nicht dazu raten, jegliche Art von körperlicher Betätigung zu meiden: "Bleiben Sie aktiv, machen Sie das, was Ihnen Spaß macht", sagte er. Wer sich sportlich betätige, trainiere Kraft und Koordination. Auch das könne vor einem Sturz bewahren.
70 bis 80 Prozent der Betroffenen setzen die Arzneimittel ohne Absprache wieder ab
Aber trotz aller Präventionsmaßnahmen, die Patienten selbst in ihren Alltag integrieren können, sprach sich Schmidmaier nicht gegen Medikamente aus. Knochenaufbauende Arzneimittel würden die Wahrscheinlichkeit einer Fraktur enorm senken: "Mit der Einnahme von Bisphosphonaten können Sie wahrscheinlich zwei von drei Brüchen verhindern." Neue Medikamente können sogar noch mehr als nur Brüche verhindern, sie regen die Bildung von neuen Knochen an. Zu diesen Mitteln gehört der Antikörper Romosozumab, der vor Kurzem in den USA zugelassen wurde. Die europäische Zulassungsbehörde EMA hat sich vor wenigen Tagen dennoch gegen die Zulassung des Antikörpers entschieden, weil kardiovaskuläre Risiken nicht auszuschließen sind. Auch viele andere, bereits zugelassene knochenaufbauende Medikamente, sind nicht frei von Nebenwirkungen. Es sei aber nicht immer klar, ob Symptome wie Zahnausfall nun altersbedingt seien oder eine Nebenwirkung des jeweiligen Medikaments, gab Schmidmaier zu bedenken.
Ein generelles Problem aller Osteoporosemedikamente aber ist: Die Patienten merken nicht direkt etwas von der schützenden Wirkung für ihre Knochen. Dass weniger Brüche eintreten, ist eben nur ein indirekter Effekt. Deshalb setzen 70 bis 80 Prozent der Betroffenen die Arzneimittel ohne vorherige Absprache mit dem behandelnden Arzt wieder ab.
Der Unfallchirurg Wolfgang Böcker glaubt, dass es schon helfen würde, wenn die Kommunikation zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich besser funktionierte. Wie das ablaufen kann, zeigt ein Beispiel aus Schottland: Bereits in den Neunzigerjahren habe man in Glasgow einen sogenannten Fracture Liaison Service (FLS) installiert. Koordinatoren kümmern sich darum, dass nach einem Klinikaufenthalt der Hausarzt informiert und eine Therapie angeordnet wird; sie erklären dem Patienten aber auch, wie etwa Stürze in Zukunft vermieden werden können. In Ländern, in denen es solch einen Dienst gebe, sei die Zahl der Folgefrakturen nachweislich gesunken, sagte Böcker.
Die Unfallchirurgie der Universität München gehört deutschlandweit zu den wenigen Zentren, in denen ein solcher Service angeboten wird. Von Oktober 2019 an wollen 18 weitere Kliniken in Bayern diese Art der Versorgungsstruktur für zunächst vier Jahre testen. Böcker sagte, das sei notwendig: Auch nach einem osteoporosebedingten Knochenbruch erhielten 90 Prozent der Frauen und 97 Prozent der Männer bisher keine Behandlung. "Dabei ist eine bereits erlittene Fraktur der größte Risikofaktor für eine weitere Fraktur."