Organtransplantationen:Ärzte ringen mit den Folgen des Skandals

Lesezeit: 3 min

Auf der ersten Tagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft seit Bekanntwerden des Transplantationsskandals war von dessen Aufarbeitung nur punktuell etwas zu vernehmen.

Von Christina Berndt

Am Vorabend hatten sie ihm noch die Ehrenmitgliedschaft verliehen - nun mussten die Transplanteure den Berliner Chirurgieprofessor Peter Neuhaus bremsen.

Dessen Aufruf, sich auch einmal über Richtlinien hinwegzusetzen, passte so gar nicht in die Zeit. Hektisch, aber bestimmt wies Bernhard Banas, Vorstandsmitglied der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG), Neuhaus in die Schranken.

Der hatte in seinem Vortrag zur Zukunft der Lebertransplantation erklärt, Chirurgen müssten mehr Selbstbewusstsein zeigen und auf ihre Erfahrung statt auf fixe Regeln vertrauen. Banas reagierte scharf: So etwas wolle er nie wieder während einer DTG-Tagung hören. Als hätten Transplanteure jüngst nicht genug Ärger wegen Verstößen gegen Vorschriften gehabt.

Die Tagung der Gesellschaft, die am Samstag in Frankfurt zu Ende ging, war die erste seit Bekanntwerden des Transplantationsskandals. Doch von dessen Aufarbeitung war nur punktuell etwas zu vernehmen. Die Pressekonferenz zum Tagungsauftakt widmete sich dem Skandal nur auf Nachfrage. Auch die Eröffnungsveranstaltung behandelte lediglich am Rande die Manipulationen bei Lebertransplantationen, durch die Ärzte an vier der 24 Zentren Patienten bevorzugt Spenderorgane beschafft hatten.

Viele jüngere Transplantationsmediziner zeigen sich zwar offen für eine kritische Auseinandersetzung mit den Verfehlungen der letzten Jahre. Viele ältere Chirurgen machen aber nicht die manipulierenden Kollegen, sondern die Presse für den Rückgang der Organspendebereitschaft nach dem Skandal verantwortlich.

Nie gekannte Aufmerksamkeit für Organmangel

Dabei hat die Berichterstattung zugleich dem Organmangel eine nie gekannte Aufmerksamkeit beschert. So viel wie im vergangenen Jahr wurde noch nie über das verzweifelte Warten vieler Patienten gesagt.

Das scheint durchaus positive Effekte im Sinne der Transplanteure zu haben: "Die Zahl der Organspendeausweise ist zuletzt gestiegen", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, Rainer Hess.

Zweifelsohne sei der Einbruch bei den Organspenden gigantisch: Schon vor dem Skandal, im Jahr 2011, hatte es ein Minus von sieben Prozent gegeben, 2012 einen Rückgang von 12 Prozent, und 2013 dürften die ohnehin schon niedrigen Zahlen noch einmal um 14 Prozent sinken. "Aber wir haben den Tiefpunkt hinter uns", so Hess. Auffällig auch: Es sind gar nicht so sehr die Angehörigen, die eine Organentnahme bei ihren hirntoten Verwandten ablehnen. Wesentlich melden Ärzte offenbar weniger Hirntote an die DSO.

Durch die Manipulationen ist noch etwas deutlich geworden: die Mängel des bisherigen Systems. Die manipulierenden Ärzte haben sich auch darum über die Verteilungsregeln hinweggesetzt, weil sie sie für falsch halten. Nach dem gültigen System bekommen vor allem jene Patienten eine Spenderleber, die sie am dringendsten benötigen. Diese Patienten sind aber meist schon so krank, dass sie die schwere Operation oft nicht gut überstehen und mit dem neuen Organ bald sterben.

So hat der Skandal zu intensiven Diskussionen über die Verteilung von Organen angeregt. Was ist gerecht? Und was ist sinnvoll? Als gerecht empfinden viele Menschen die Verteilung von Spendernieren, bei der Wartezeit eine wesentliche Rolle spielt. Über den Sinn der Wartezeit müsse aber neu nachgedacht werden, regte DTG-Präsident Björn Nashan vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf an.

Mit jedem Jahr verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Patienten drastisch, Folgekrankheiten etwa an Gefäßen entstehen, die Überlebenschancen nach einer Nierenspende sinken. Da Spenderorgane vor allem Lebenszeit und Lebensqualität schenken sollen, müssten Nierenkranke möglichst schnell ein Organ bekommen.

Viel diskutiert wurde bereits über die Regel, dass Alkoholkranke sechs Monate trocken sein müssen, bevor sie Anrecht auf eine Spenderleber haben. An vielen Zentren haben Ärzte gegen diese Regel verstoßen, die der Jurist Gerhard Dannecker von der Universität Heidelberg sogar für rechtswidrig hält.

Die Ständige Kommission Organtransplantation (Stäko) hat die Sechs-Monats-Karenz deshalb auf den Prüfstand gestellt - und möchte sie erhalten. "Die Chance, dass Alkoholiker nach dieser Zeit gar keine Spenderleber mehr brauchen, ist groß", sagt die Psychosomatikerin Gertrud Greif-Higer von der Universitätsklinik Mainz. Lebern regenerieren sich ausgesprochen gut.

Eine längere Wartezeit würde auch dem Erfolg der Transplantation dienen. Oft nehmen alkoholabhängige Menschen nach der Transplantation jene Medikamente nicht regelmäßig, die die Abstoßung des Spenderorgans verhindern. Der neue Entwurf der Stäko sieht deshalb sogar eine Verschärfung der Karenz-Regel vor: Künftig sollen nicht mehr nur Psychologen überprüfen, ob ein Patient trocken ist - biochemische Tests sollen dies belegen.

"Aber was ist mit den Patienten, die gar keine Chance haben, diese sechs Monate zu überleben?", fragte der Internist Andreas Umgelter vom Münchner Klinikum rechts der Isar: "Sollen wir die sterben lassen?" - "Ja, mit kaltem Herzen", lautete die Antwort von Greif-Higer. "Es gibt nun einmal Erkrankungen, die führen zum Tode. Die Alkoholabhängigkeit ist so eine. Wenn die zugrunde liegende Suchterkrankung nicht behandelbar ist, dann können wir angesichts des Organmangels nicht transplantieren", sagte sie während der Ethiksitzung, die so gut besucht war wie noch nie bei einer DTG-Tagung.

Die Ethiker hatten immer einen schweren Stand in der DTG. Jetzt ist das Interesse offenbar gewachsen. Die DTG-Mitglieder verabschiedeten sogar einen neuen Ethikkodex, mit nur einer Gegenstimme. Nun hoffen Greif-Higer und der Bochumer Chirurgieprofessor Richard Viebahn als Vorsitzende der Ethikkommission, dass der Kodex die Mediziner auch wirklich erreicht.

© SZ vom 29.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: