Organspende-Skandal in Leipzig:Stunde der Lüge

Am Uniklinikum Leipzig war die Manipulation der Vergabe von Spenderorganen ebenso einfach wie wirkungsvoll - ob Geld geflossen ist, muss erst geklärt werden. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Die verschärften Transplantations-Regeln schrecken Betrüger mittlerweile ab.

Von Christina Berndt

Die Prüfer wussten längst, worauf sie achten mussten. Sie hatten sich schon in Göttingen durch Patientenakten gewühlt, sie waren in Berlin, Hamburg, Regensburg, Heidelberg, Essen und auch in beiden Universitätskliniken in München gewesen. Nun war eben Leipzig dran. Es war schon fast Routine.

Doch als die Mitglieder der Prüfungs- und Überwachungskommission, die bei der Bundesärztekammer angesiedelt ist, bei den Leipziger Chirurgen nach Unterlagen fragten, gerieten diese in Verlegenheit. Wo die Dialyseprotokolle seien, wüssten sie auch nicht, gaben die Ärzte an. Die Prüfer brachen ihre Arbeit ab und forderten die Chirurgen auf, die Unterlagen zu suchen. Sie kämen dann im Januar wieder.

Als Wolfgang Fleig, der Medizinische Vorstand des Klinikums, davon hörte, war er höchst alarmiert. Schließlich schlägt sich der gelernte Leberfacharzt seit Monaten mit den Datenmanipulationen in Göttingen herum. Dort ist Fleig ein anerkanntes Mitglied der dreiköpfigen Kommission aus externen Ärzten, die die Details des mutmaßlichen Organ-Betrugs aufdecken soll. Der 63-Jährige gilt als kritischer Geist. Und nun witterte er Betrügereien im eigenen Haus.

Aufgeschreckt durch die Vorgänge in Göttingen, hatte Fleig am Leipziger Klinikum die Patientenakten schon seit dem Sommer prüfen lassen. Allerdings begann die Innenrevision mit dem Jahr 2007 - und da gab es noch keine Auffälligkeiten. Nach dem Besuch der Prüfungskommission aber verstärkte Fleig seine Innenrevision um vier erfahrene Ärzte, die mit den Transplantationen im Haus nichts zu tun hatten. Schnell entdeckten die Mediziner 38 offenkundige Manipulationen.

38 offenkundige Manipulationen

Besonders schwer hatten es die Prüfer allerdings nicht. In allen bislang entdeckten Fällen haben Ärzte gegenüber der Organ-Verteilungsstelle Eurotransplant offenbar die gleiche Lüge benutzt: Sie haben angegeben, dass die Leberpatienten eine Blutwäsche bekommen hätten. Wenn dies der Fall ist, steigen die Chancen der Kranken auf ein Spenderorgan erheblich. Denn es bedeutet, dass neben der Leber auch noch die Nieren versagen könnten. Weil die Transplantation deshalb umso dringlicher erscheint, rücken die Patienten auf der Warteliste nach oben. Andere, tatsächlich kränkere Patienten, bekommen dafür später eine Leber - mitunter zu spät. Denn beim Warten auf eine Spenderleber geht es um Leben und Tod.

Bei 54 der 182 Leipziger Lebertransplantationspatienten der Jahre 2010 und 2011 war eine Dialyse angegeben worden; in 37 Fällen war dies nach derzeitigem Kenntnisstand schlicht gelogen. Im Jahr 2012 wurde noch bei einem von zehn Patienten betrogen. "Das ist ein für mich bestürzendes Ergebnis", sagt Fleig. Er sei immer davon ausgegangen, dass in seinem Klinikum alles mit rechten Dingen zugehe. Gleichwohl habe er schon im Herbst damit begonnen, die Strukturen am Klinikum so zu verändern, dass Betrügereien schwieriger würden.

Wer ist verantwortlich?

Wer für die Manipulationen verantwortlich ist, muss erst geklärt werden. Zwei Oberärzte und der Chefarzt der Transplantationschirurgie sind beurlaubt worden. Nur die beiden Oberärzte hätten die Verantwortung dafür gehabt, wie die Patientenunterlagen ausgefüllt wurden, heißt es aus Klinikkreisen. Für die SZ waren die Ärzte nicht zu erreichen. Gegenüber der Klinikumsleitung haben sie den Manipulationsverdacht von sich gewiesen. Der Chefarzt sagte, er habe nichts von Datenfälschungen gewusst. Die beiden Oberärzte, die dem Transplantationsbüro vorstanden, gaben dem Medizinischen Vorstand zufolge an: Sie seien von den Stationen informiert worden, dass Dialysen stattgefunden hätten. Eine Aussage, die Fachleute für wenig plausibel halten.

Auch über die Motive der Verantwortlichen lässt sich derzeit nur spekulieren. Oft wird reflexhaft der Schluss gezogen, dass die Lebern wahrscheinlich gegen Geld an begüterte Patienten verschachert worden seien. Doch dafür gibt es in Leipzig bislang keine Hinweise. "Ich kann nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass kein Geld geflossen ist", sagte Fleig am Mittwoch während einer Pressekonferenz in Leipzig. Soweit er die beschuldigten Ärzte und die betroffenen Patienten kenne, könne er sich eine Bestechung aber nicht vorstellen, ergänzte er.

Auch in Göttingen fanden Ermittler nur in einem Fall ein Indiz für Bestechlichkeit. "Es gibt bisher keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass für eine bestimmte Handlung Zahlungen erfolgt sind", sagte eine Sprecherin der zuständigen Staatsanwaltschaft in Braunschweig. Dort wird aber weiter wegen Bestechlichkeit und Körperverletzung ermittelt. Auch die Staatsanwaltschaft Leipzig prüft jetzt einen Straftatverdacht. "Wir haben ein Prüfverfahren eingeleitet, um festzustellen, ob sich aus den mitgeteilten Mängeln und Unregelmäßigkeiten Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Relevanz ergeben", sagte ein Sprecher.

Der beliebte Trick mit der Dialyse

Weshalb es im Jahr 2010 plötzlich zu den Manipulationen kam, ist unklar. Einschneidende personelle Veränderungen habe es zu dieser Zeit jedenfalls nicht gegeben, sagt Fleig. Im Jahr 2012 hörten die Manipulationen dann schlagartig auf. Das lässt sich leichter erklären. Denn zu dieser Zeit verlangte Eurotransplant aufgrund der Göttinger Vorgänge, dass die Dialyseprotokolle bei der Meldung eines Patienten für die Warteliste mit eingesandt werden. Bis dahin hatte ein Kreuzchen auf dem Meldebogen ausgereicht.

Auch in Göttingen und Regensburg waren zahlreiche Manipulationen über fälschlicherweise angegebene Dialysen erfolgt. In München gingen die Betrüger zum Teil mit höherer krimineller Energie vor. In zwei Fällen sollen Blutproben mit Urin vermischt worden sein, um die Patienten kränker erscheinen zu lassen. Urin im Blut bedeutet, dass die inneren Organe nicht mehr richtig arbeiten. In zwei weiteren Fällen wurde eine Blutprobe verwendet, die offenkundig von einer Person stammte, die niemals als Patient in dem Klinikum der TU München war.

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