Auch in Münster ermittelt die Staatsanwaltschaft nun wegen Manipulationen bei Lebertransplantationen. Das teilte Oberstaatsanwalt Heribert Beck der Süddeutschen Zeitung am Freitag auf Anfrage mit. Anfang September hat der Bericht der bei der Bundesärztekammer angesiedelten Prüfungs- und Überwachungskommission (PÜK) zu allen 24 deutschen Lebertransplantationszentren systematische Verstöße gegen die Richtlinien für Lebertransplantationen auch am Universitätsklinikum Münster aufgezeigt. Zuvor war diesbezüglich schon eine anonyme Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingegangen.
Nach Sichtung des Berichts habe sich nun ein Anfangsverdacht ergeben, der die Einleitung von Ermittlungen erforderlich mache, sagte Beck. Zunächst werde gegen den Leiter der Klinik für Transplantationsmedizin in Münster als formal Verantwortlichem ermittelt. Ob es gegen ihn oder andere Ärzte zur Anklage kommt, werde sich erst in einigen Monaten entscheiden, so Beck weiter.
In Münster erhielten in den Jahren 2010 und 2011 dem Bericht der PÜK zufolge drei alkoholkranke Patienten eine Spenderleber, die noch nicht die erforderlichen sechs Monate trocken waren. In weiteren acht Fällen wurde Patienten mit Leberkrebs ein Spenderorgan transplantiert, obwohl ihre Tumoren noch zu klein oder schon zu groß waren, als dass eine Transplantation den Richtlinien gemäß Sinn ergeben hätte.
Weitere Richtlinienverstöße ergaben sich aus Falschangaben zur Dialysepflicht. Bei fünf Patienten gaben die verantwortlichen Ärzte der PÜK zufolge an, dass sie eine Dialyse durchgeführt hätten, obwohl dies gar nicht der Fall war. Weitere neun Patienten wurden dem PÜK-Bericht zufolge dialysiert; es bestand aber gar keine Notwendigkeit für diese Maßnahme.
Durch die Angabe der Dialyse in all diesen Fällen erschienen die Patienten auf dem Papier erheblich kränker, als sie in Wirklichkeit waren. Denn die Notwendigkeit einer Blutwäsche bedeutet, dass die Patienten nicht nur leber-, sondern auch nierenkrank sind. Deshalb bekommen solche Patienten mehr Punkte auf der Warteliste und dadurch besonders schnell eine Spenderleber zugeteilt. Eine Mitarbeiterin der Klinik in Münster hatte bei der Prüfung gegenüber der PÜK denn auch erklärt, dass sie bei der Meldung der Patienten für die Warteliste unter bestimmten Umständen immer eine Dialyse angegeben habe, weil nur das Punkte bringe.
Das Klinikum wehrt sich gegen die Vorwürfe. "Wir weisen die Feststellung, es sei am Universitätsklinikum Münster zu 'systematischen Richtlinienverstößen' gekommen, mit Nachdruck zurück", heißt es in einer Stellungnahme. Dies "suggeriert ein methodisches und planvolles Vorgehen im Wissen und in der Absicht, einschlägige Vorschriften bewusst zu verletzen". Am Universitätsklinikum habe man die Richtlinien nur anders ausgelegt und gedacht, man verhalte sich richtlinienkonform, heißt es weiter.
Auch gegen Ärzte an den Universitätsklinika Regensburg, Leipzig und München rechts der Isar ermitteln Staatsanwälte bereits. In Göttingen steht der ehemalige Leiter der Transplantationschirurgie derzeit vor Gericht. Ihm wird wegen der Manipulation von Gesundheitsdaten - etwa der fälschlichen Angabe von Dialysen - versuchter Totschlag vorgeworfen: Durch die Bevorzugung dieser Patienten hätten andere Patienten erst später oder auch gar nicht mehr ein Spenderorgan bekommen; in der Folge seien sie womöglich verstorben.
In drei weiteren Fällen wird dem Chirurgen Körperverletzung mit Todesfolge zur Last gelegt, weil er Patienten eine Leber transplantiert haben soll, bei denen gar keine Transplantation nötig war. Ohne den schweren Eingriff könnten diese Patienten heute noch leben, meint die Staatsanwaltschaft. Der Chirurg wehrt sich gegen die Vorwürfe. Der Prozess gegen den inhaftierten Angeklagten wird am 8. Oktober fortgesetzt. Mit einem Urteil ist nicht vor Mai 2014 zu rechnen.