Organspende-Skandal in Regensburg:Als Ärzte freigiebig mit Lebern waren

Im Schatten des Organspende-Skandals sorgt eine ältere Studie von Regensburger Transplantationsmedizinern für Diskussionen. Die Ärzte hatten Alkoholikern Spenderlebern übertragen, obwohl diese nicht die vorgeschriebenen sechs Monate trocken waren - und dann die Rückfallrate ausgewertet. Handelt es sich um wichtige Forschung oder schlicht mangelndes Unrechtsbewusstsein?

Von Christina Berndt

Dass es Ärzte an vier deutschen Universitätsklinika nicht nötig fanden, sich an die Richtlinien für Transplantationen zu halten, haben die Skandale der vergangenen Monate ans Tageslicht gebracht. Wie unterentwickelt das Unrechtsbewusstsein aber mitunter war, zeigt eine Studie des Universitätsklinikums Regensburg, die derzeit die Prüfungs- und Überwachungskommission (PÜK) beschäftigt; diese ist für Unregelmäßigkeiten in der Transplantationsmedizin zuständig.

In der Arbeit, die 2011 im Scandinavian Journal of Gastroenterology veröffentlicht wurde, berichten Ärzte um den Chefarzt der Chirurgie und eine Oberärztin der Inneren Medizin über ihre Ergebnisse aus fünf Jahren Lebertransplantation. Dabei kommt offen zur Sprache, dass 44 der 120 Patienten mit alkohol-bedingter Leberzirrhose ein Spenderorgan erhielten, obwohl sie noch nicht die in den Richtlinien geforderten sechs Monate trocken waren. 14 waren nicht einmal drei Monate abstinent.

Eine Verletzung der Richtlinien, nach denen entschieden wird, welche Kranken zuerst ein Organ erhalten, gilt im mildesten Fall als Ordnungswidrigkeit. Sie kann aber, wie es die Staatsanwaltschaft dem mutmaßlichen Haupttäter im Göttinger Transplantationsskandal vorwirft, auch als versuchter Totschlag betrachtet werden. Die Argumentation: Ärzte, die einzelne Patienten bei einer Transplantation bevorzugen, nehmen angesichts des herrschenden Organmangels billigend in Kauf, dass die dadurch benachteiligten Patienten sterben.

In der PÜK sei man "sehr erzürnt" über die Vorgänge in Regensburg, die in der publizierten Studie so freimütig offenbart werden, berichten informierte Kreise. Die für die Richtlinien zuständige Ständige Kommission Organtransplantation (Stäko) war nicht gefragt worden, ob für die Studie eine Ausnahme bei der Verteilung der Lebern gemacht werden dürfe. Die verantwortlichen Ärzte seien bereits um eine Stellungnahme gebeten worden, betont der Stäko-Vorsitzende Hans Lilie. Die Antwort stehe noch aus. Ob die Transplantationen als Richtlinienverstöße gewertet werden, hänge mit davon ab, ob ein Votum einer örtlichen Ethikkommission vorgelegen habe.

Ein solches hat es offenbar nicht gegeben: Es "bedurfte keines Ethikvotums, da es sich gemäß der Rechtsanwendungspraxis unserer Ethikkommission nicht um klinische Versuche oder Forschung handelt", teilte die Pressestelle des Klinikums mit. "Zu inhaltlichen Fragen der Lebertransplantation" wolle man darüber hinaus derzeit nicht Stellung nehmen.

Der Regensburger Chirurgie-Chef steht schon seit Längerem in der Kritik, weil auch in seiner Abteilung in großem Stil Daten manipuliert wurden, um Patienten schneller eine Spenderleber zu verschaffen. Dafür soll der mutmaßliche Haupttäter von Göttingen verantwortlich gewesen sein, der früher in Regensburg arbeitete. Zu diesem Arzt pflegte der Chirurgie-Chef enge Kontakte; er promovierte sogar dessen Ehefrau, eine Zahnmedizinerin, mit einem Plagiat der chirurgischen Doktorarbeit ihres Mannes.

Wie sinnvoll ist die Abstinenzregel?

Regeln sind manchmal lästig und mitunter falsch. Deshalb ist es richtig, sie zu hinterfragen. Das gilt auch für die Transplantationsrichtlinien. "Manche Regeln müssen der Lebenswirklichkeit angepasst werden", sagt Hans Lilie. "Deshalb überprüfen wir sie regelmäßig." Gerade in Sachen Alkohol streiten Ärzte seit Langem darüber, wie sinnvoll die geforderte Karenzzeit von sechs Monaten eigentlich ist. Reichen nicht auch fünf oder 4,5 Monate aus? Sinnvoll konzipierte Studien könnten hier tatsächlich eine Antwort geben.

"Die Sechs-Monats-Regel ist willkürlich und entbehrt der wissenschaftlichen Grundlage", sagt der Internist Andreas Umgelter vom Münchner Klinikum rechts der Isar. Umgelter hält die Regel auch für ethisch fragwürdig: Mitunter bemerken Patienten nämlich erst dann die Auswirkungen ihres Alkoholkonsums, wenn ihre Leber schon so schwer geschädigt ist, dass sie keine Chance mehr haben, die kommenden sechs Monate zu überleben.

Noch etwas gibt Umgelter zu bedenken: Oft werde die geforderte Abstinenz auch damit begründet, dass die Bevölkerung Vorbehalte gegenüber Alkoholkranken habe, die selber schuld an ihrem Schicksal seien. "Es ist aber nicht jeder, der durch Alkohol einen schweren Leberschaden erleidet, alkoholabhängig", betont Umgelter. Genetische Faktoren beeinflussten die Wirkung des Alkohols und könnten auch bei einem gesellschaftlich akzeptierten Konsum die Leber lebensbedrohlich schädigen.

Ein Grund für die Abstinenzregel ist allerdings auch, dass nicht entwöhnte Alkoholiker bald wieder zur Flasche greifen. Und ein Vierteljahr Abstinenz gilt weithin als zu kurz. So überrascht es wenig, dass in der Regensburger Studie fast zwei Drittel der nicht einmal drei Monate trockenen Patienten, die das Krankenhaus verlassen konnten, bald danach rückfällig wurden; zwei der elf Spenderlebern entwickelten wieder eine Zirrhose. Dabei wäre die Rückfallquote wohl noch höher gewesen, wenn die Ärzte nicht auffallend milde geurteilt hätten: Während anderswo jeder Tropfen Alkohol als Rückfall gilt, sprach man an der Donau erst von Rückfall, wenn männliche Patienten pro Tag mehr als 60 Gramm Alkohol zu sich nahmen - also eine ganze Flasche Wein.

Das wenig überraschende Fazit der Studie lautet jedenfalls, dass Patienten doch mindestens drei Monate abstinent sein sollten, um den Erfolg der Lebertransplantation nicht zu gefährden. Nun gibt es viele Studien, die nur bestätigen, was bereits bekannt ist. In Regensburg aber wurde für eine solche Erkenntnis regelwidrig ein knappes Gut verwendet, dessen Verschwendung Leben kostet.

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