Organspende:Privatpatienten möglicherweise bei Transplantationen bevorzugt

Immer wieder kommt der Verdacht auf, dass Privatpatienten bei der Vergabe von Spenderorganen bevorzugt werden - bislang konnte dies nicht bewiesen werden. Nun hat ein Gesundheitsexperte der Grünen neue Hinweise darauf gefunden.

Kürzlich erst hatte das Bundesgesundheitsministerium erklärt, dass Privatpatienten, die eine Transplantation benötigen, bei der Vergabe von Organen nicht bevorzugt werden. Dieser schlimme Verdacht war angesichts des Organspende-Skandals von Göttingen und Regensburg aufgekommen. Schließlich verdienen Kliniken an Privatpatienten besser als an gesetzlich Versicherten. Dem Ministerium zufolge sind die Chancen auf ein Spenderorgan für Kassenpatienten nicht geringer als für Privatpatienten.

Doch gerade dieser Bericht des Ministeriums hat den Grünen-Gesundheitsexperten Harald Terpe misstrauisch gemacht, wie die Berliner Zeitung berichtet.

Das Ministerium hatte erklärt, dass 2011 insgesamt 3504 Kassenpatienten ein neues Organ erhalten hatten, während es 344 Mitglieder der Privaten Krankenversicherungen waren. Der Anteil der Privatpatienten an allen Organempfängern wäre demnach knapp neun Prozent (nicht 9,8 Prozent, wie häufig berichtet wird).

Geht man davon aus, dass unter beiden Gruppen der Bedarf ähnlich hoch ist, dann, so scheint es, kann von einer Bevorzugung keine Rede sein, denn in Deutschland sind etwa elf Prozent der Patienten Kunden der Privatversicherungen - und zwölf Prozent, wenn man die Bahn- und Postbeamten hinzurechnet, die als nicht gesetzlich Versicherte bei den Transplantationszentren gemeldet werden.

Doch Terpe ist skeptisch, ob sich diese Zahlen so vergleichen lassen. Schließlich seien Privatversicherte meist jünger und gesünder als Kunden der gesetzlichen Krankenversicherungen. Der Grüne hat sich deshalb andere Daten besorgt: Er hat sich von der Stiftung Eurotransplant, die verantwortlich ist für die Zuteilung von Spenderorganen, die Zahlen der privat oder gesetzlich Versicherten geben lassen, die am 22. August tatsächlich auf der Warteliste für ein Spenderorgan in Deutschland standen.

Demnach waren 9,7 Prozent der fast 2000 Patienten, die auf eine Leber warten, privat versichert. Im vergangenen Jahr war der Anteil der Privatversicherten unter den 1116 Leberempfängern, die über die normale Warteliste oder über das sogenannte beschleunigte Verfahren ein Organ erhielten, mit 13,1 Prozent allerdings deutlich größer. Unterscheidet man beide Methoden, so waren es sogar 14 Prozent der Leberempfänger, die als Privatpatienten über Wartelisten an ein Organ kamen, beim beschleunigten Verfahren waren es immerhin noch elf Prozent.

Für die Transplantationen von Herzen und Lungen entdeckte Terpe ähnliche Diskrepanzen. Weniger auffällig ist der Unterschied dagegen bei jenem Organ, auf das die meisten Patienten warten und das am häufigsten transplantiert wird - der Niere: Im August lag der Anteil der Privatpatienten unter den mehr als 7500 Betroffenen bei 6,2 Prozent, unter den 2055 Empfängern im Jahre 2011 waren 6,8 Prozent privat versichert.

Auch an dem sogenannten beschleunigten Verfahren, bei dem Patienten unabhängig von der Warteliste - eigentlich als Ausnahme - eine Leber, eine Lunge, ein Herz, eine Niere oder eine Bauchspeicheldrüse erhalten haben, lag der Anteil der Privatpatienten im Jahr 2011 ebenfalls immer über dem Anteil auf der Warteliste im August 2012.

Zufall oder das Ergebnis von Manipulationen?

Wenn die Zahlen aus diesem Monat mit denen aus dem gesamten Jahr 2011 tatsächlich vergleichbar sind, dann wäre die Skepsis des grünen Abgeordneten gerechtfertigt. Wieso sollte der Anteil an den privat versicherten Organempfängern regelmäßig etwas höher sein als ihr Anteil auf der Warteliste?

Doch so einfach ist es vielleicht nicht. So war die Sterblichkeit der Patienten auf den Wartelisten laut Zahlen von Eurotransplant unter den Privatversicherten seit 2002 meist sogar geringfügig höher. Das heißt, die Chance, als Privatpatient ein Organ zu erhalten, bevor man stirbt, scheint etwas geringer zu sein, als bei Kassenpatienten.

Und auch der Unterschied im Alter der Versicherten ist Stefan Reker vom Verband der Privaten Krankenversicherungen zufolge bei weitem nicht so groß wie Terpe vermutet. Das Durchschnittsalter beträgt demnach bei Privatversicherten auf der Warteliste 42,15 Jahre - zählt man Beamte und Postangestellte hinzu, sind es 43,62 Jahre. Die gesetzlich Versicherten sind im Schnitt 42,83 Jahre alt.

Auch stellt sich die Frage, bei welcher Gelegenheit die Patienten auf ihre Kassenzugehörigkeit hin unterschieden werden könnten, um Privatversicherte dann zu bevorzugen. Bei Eurotransplant wird diese zwar grundsätzlich erfasst - beim sogenannten Matching möglicher Spender und Empfänger jedoch nicht angegeben.

Auch für Terpe selbst ist "unklar, ob diese Zahlen Zufall oder das Ergebnis von Manipulationen sind". Doch immerhin seien sie auffällig. "Es ist die Aufgabe von Bundesminister Bahr, sich damit zu beschäftigen und hier Klarheit zu schaffen, anstatt sich hinter der Selbstverwaltung zu verstecken."

Angesichts des Skandals um die Organvergabe in Göttingen und Regensburg ist das Vertrauen in das System erschüttert. An den Uni-Kliniken dort hatte ein Arzt offenbar - in einigen Fällen mit Hilfe eines Kollegen - Daten gefälscht, um Patienten an die Spitze der Warteliste für Lebertransplantationen rücken zu lassen. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hatte kürzlich nach einem Spitzentreffen mit Medizinern und Vertretern der Transplantationszentren und -organisationen angekündigt, Kontrolle und Aufsicht zu verbessern. Die verantwortlichen Stellen in Bund und Ländern sollen zu diesem Zweck besser ausgestattet werden.

Harald Terpe hatte die Pläne des Ministers allerdings umgehend als "pure Kosmetik" bezeichnet, die lediglich das Ziel verfolgen würde, "das bestehende System ohne Strukturveränderungen durch die Krise zu retten".

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