Süddeutsche Zeitung

Covid-19:Warum Charité-Virologen eine Corona-Studie zurückgezogen haben

Das Institut für Virologie des Berliner Uniklinikums hat eine vielbeachtete Publikation zurückgezogen. Die darin gemachten Aussagen seien "nicht mehr ohne begründete Zweifel belegbar".

Von Christina Berndt

Wissenschaftler vom Institut für Virologie der Berliner Charité haben eine vielkritisierte wissenschaftliche Publikation zur Evolution der Corona-Variante Omikron zurückgezogen. Die darin gemachten Aussagen seien "nicht mehr ohne begründete Zweifel belegbar", teilte die Charité am Dienstag mit. Eine Überprüfung der zugrundeliegenden Untersuchungsproben habe ergeben, dass diese zum Teil verunreinigt gewesen seien.

Dies wird seither mit einiger Häme in sozialen Medien kommentiert, weil Christian Drosten an der Studie beteiligt war. Der Direktor der Virologie an der Charité ist in der Pandemie zur Hassfigur von Gegnern der Corona-Maßnahmen geworden. Drostens Beitrag an dieser Arbeit, an der insgesamt 88 Autoren aus mehreren Ländern beteiligt waren, sei aber "nur gering" gewesen, sagte der federführende Autor der Studie, Jan Felix Drexler. Dass die Publikation fehlerhaft sei, bedauerte der Virologe. "Wir haben einen Fehler gemacht, und das ist bitter", sagte Drexler dem Wissenschaftsmagazin Science, das die nun zurückgezogene Studie Anfang Dezember publiziert hatte.

Die Studie war von Fachkollegen schon früh kritisiert worden

In der Arbeit hatten die Forschenden eine überraschende These aufgestellt. Sie hatten nach Analyse von mehr als 13 000 Proben von Covid-19-Patienten aus 22 Ländern postuliert, dass die Omikron-Variante in Afrika schrittweise und über einen längeren Zeitraum entstanden sei - und damit schon deutlich vor dem ersten Nachweis im November 2021. International gehen Wissenschaftler hingegen davon aus, dass Omikron aus einem immunsupprimierten Menschen, zum Beispiel einem Aids-Patienten, hervorgegangen ist oder aus dem Tierreich auf den Menschen übersprang. Auch die SZ hatte damals über die Arbeit des Teams um Drexler berichtet.

Die Charité-Studie hatte indes schon kurz nach ihrer Publikation Zweifel auf sich gezogen. "Ich bin nicht überzeugt", hatte zum Beispiel Richard Neher, Experte für die Evolution von Viren an der Universität Basel, auf Twitter geschrieben. Manche der beschriebenen Proben enthielten sowohl Mutationen der Delta-Variante des Coronavirus als auch der Omikron-Variante. Kontaminationen seien eine wahrscheinlichere Interpretation dafür, so Neher.

Diese und ähnliche Kommentierungen haben sich die Charité-Forscher zu Herzen genommen. Wegen der Kritik in den sozialen Medien hätten sie ihre Daten noch einmal überprüft, schreiben sie in der Mitteilung, mit der sie ihr Paper zurückzogen. Dabei hätten sie herausgefunden, dass tatsächlich ein Mix aus verschiedenen Coronaviren manche ihrer Proben verunreinigt habe. Da die Proben nun aufgebraucht seien, könnten sie ihre Analysen nicht wiederholen und zögen ihre Arbeit daher zurück.

Dass eine wissenschaftliche Arbeit so kurz nach ihrer Publikation schon wieder zurückgezogen wird, ist ungewöhnlich. "Die Forschenden kommen damit ihrer Verantwortung für die gute wissenschaftliche Praxis nach, der sich die Charité und das internationale Autorenteam verpflichtet fühlen", schreibt die Charité in ihrer Pressemitteilung. Der Chefredakteur von Science drückte sein Bedauern aus, dass die Probleme mit der Studie erst nach der Publikation entdeckt worden seien und nicht im Prüfprozess durch Fachkollegen, der vor der Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Publikation erfolgt: "Wir akzeptieren, dass wir dafür verantwortlich sind, dass dies nicht während des Reviewprozesses herausgefunden wurde."

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