Süddeutsche Zeitung

Norovirus:Der perfekte Erreger

Noroviren sind äußerst geschickt darin, sich möglichst weit zu verbreiten. So entwickelt der Magen-Darm-Erreger auch ständig neue Varianten.

Von Katrin Blawat

Sie machen alles richtig. Ach was, sie machen es perfekt. Geschickter als ein Norovirus kann kein Erreger vorgehen, der auf Erfolg aus ist; was in diesem Fall heißt: sich zu verbreiten. Um das zu erreichen, setzen Noroviren auf eine Vielzahl von Strategien. Eine davon lautet: Schicke regelmäßig neue Abkömmlinge ins Rennen - virologische Varianten, die auch geübte Immunsysteme noch nicht kennen.

Diese Anforderung erfüllt zum Beispiel "Sydney 2012". So heißt eine Variante der Noroviren, der Experten in den Wintern 2012 und 2013 eine steile Karriere prognostizierten. Ihr Erbgut unterschied sich an einigen Stellen von dem der zuvor zirkulierenden Erreger. Das machte auch jene Menschen für Sydney 2012 anfällig, die erst kurz zuvor unter Noroviren-bedingtem Brechdurchfall litten und einen gewissen Schutz gegen die älteren Erreger entwickelt haben.

Wie sein Name andeutet, wurde Sydney 2012 erstmals in Australien beschrieben. "Vereinzelt haben wir diese Variante auch in Deutschland schon entdeckt", sagte Marina Höhne, Leiterin des Konsiliarlabors für Noroviren am Berliner Robert-Koch-Institut (RKI). "Wir haben jetzt schon darauf gewartet."

Seit 2002 taucht in Europa und den USA mit akribischer Regelmäßigkeit alle zwei Jahre eine neue Norovirus-Variante auf. Dennoch können auch Experten dagegen nicht viel mehr tun, als das Treiben der Viren zu protokollieren. Der Datenbank des RKI zufolge erkrankten im Jahr 2012 fast 110.000 Menschen in Deutschland an der meldepflichtigen Infektion. Darunter waren auch jene knapp 11.000 Kinder, die sich höchstwahrscheinlich in Schulkantinen über Erdbeeren angesteckt hatten.

Laut dem RKI sind Noroviren für knapp ein Drittel aller nichtbakterieller Magen-Darm-Infekte bei Kindern verantwortlich, bei Erwachsenen sogar für etwa die Hälfte. Meist verlaufen die Erkrankungen zwar sehr unangenehm, aber weitgehend harmlos.

Ernsthaft gefährdet sind vor allem alte Menschen und kleine Kinder. Für das Jahr 2011 verzeichnet das RKI 43 Norovirus-bedingte Todesfälle - bei gut 116.000 Erkrankungen. Auch das ist Teil der Erfolgsstrategie des Erregers: Will er sich großflächig ausbreiten, muss er seine Opfer am Leben lassen. Nur dann kann der Mensch die Keime über Hände, Erbrochenes und Kot weitergeben. Auch eingeatmete Viruspartikel, die sich fein verteilt in der Luft befinden, können ansteckend sein. Bedenkt man dann noch, dass schon 18 Virusteilchen für eine Infektion genügen und der Erreger bis zu zwei Wochen lang auf Oberflächen überdauert, lässt sich die Schlussfolgerung des Virologen Aron Hall von der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC gut nachvollziehen. "Diese Viren haben wirklich alle Eigenschaften eines idealen Erregers", schrieb Hall 2012 im Journal of Infectious Diseases (online).

Auffällig oft schlagen Noroviren im Winter zu. Ähnlich saisonal verhalten sich auch manche andere Viren, etwa die Influenza-Erreger. Forscher vermuten dafür mehrere Gründe. Der Mangel an Sonnenlicht im Winter lässt den Vitamin-D-Spiegel im menschlichen Körper sinken, was das Immunsystem schwächt. Viren hingegen fühlen sich in kalter, trockener Luft wohl. Zu eisig kann es Noroviren in hiesigen Breiten dabei kaum werden. Die Erreger überstehen problemlos Temperaturen von minus 20 Grad - und am anderen Ende der Skala Hitze von mindestens 60 Grad. Diese Unempfindlichkeit trägt dazu bei, dass manche Forscher vom Norovirus als dem "perfekten Erreger" sprechen.

Hinzu kommt, dass Menschen im Winter mehr Zeit mit anderen zusammen in geschlossenen Räumen verbringen - auch wenn dieser Effekt in Zeiten, in denen die meisten sowieso sommers wie winters in Büros arbeiten, recht gering ist. Das legt zumindest eine kürzlich veröffentlichte Studie eines Teams um Lander Willem von der belgischen Universität in Antwerpen nahe (Plos One, online).

Erklären lässt sich die Erfolgsgeschichte der Noroviren jedoch nur mit weiteren Tricks, mit denen das Virus bis heute sogar Experten narrt. So weiß niemand, was die Erreger brauchen, um sich im Labor zu vermehren - jedenfalls andere Bedingungen als jene, die Forscher ihnen bislang geboten haben.

"Es ist schwierig, menschliche Noroviren zu untersuchen, weil sie nicht in Zellkulturen wachsen. Das ist das größte Problem", sagt Grant Hansman. Er leitet die Nachwuchsgruppe Noroviren, gefördert von der CHS-Stiftung, am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Das erschwert auch die Suche nach Impfstoffen und antiviralen Medikamenten. Beides wird trotz entsprechender Forschung in absehbarer Zeit wohl nicht auf den Markt kommen. Es gibt zwar Impfstoff-Kandidaten. Doch gilt es als extrem schwierig, ein Vakzin zu entwickeln, das zuverlässig gegen die vielen verschiedenen Varianten schützt. Zudem gibt es ein weiteres Hindernis: "Es ist schwierig, Studien mit Freiwilligen durchzuführen", sagt Hansman.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1567158
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.01.2013/beu
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.