Süddeutsche Zeitung

Nobelpreis für Medizin:Wie der Körper die innere Uhr stellt

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Drei US-Forscher haben ergründet, wie die biologische Uhr funktioniert, und erhalten dafür den Medizin-Nobelpreis. Heute weiß man: Ein funktionierender Schlaf-Wach-Rhythmus ist entscheidend für Gesundheit und Wohlbefinden.

Von Kathrin Zinkant

In knapp vier Wochen werden die Nachrichten und auch die Süddeutsche Zeitung wieder auf die alljährliche Zeitumstellung hinweisen. In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt. Über Berlin bricht die Dunkelheit am darauf folgenden Tag schon um 16:41 herein, in München um 16:55 Uhr. Mit ihr beginnt für viele auch schon die Müdigkeit. Und morgens schlägt so mancher plötzlich viel zu früh die Augen auf. Es wird genau der richtige Zeitpunkt sein, noch einmal an die diesjährigen Nobelpreisträger für Medizin zu denken, die an diesem Montag in Stockholm verkündet wurden. Denn ihre Forschung legt nahe, die ohnehin oft kritisierte Zeitumstellung endlich abzuschaffen.

Die drei US-Amerikaner Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young erhalten die höchste wissenschaftliche Auszeichnung für ihre grundlegenden Arbeiten zur Chronobiologie. Das Trio hat die Grundlagen dafür geschaffen, die innere Uhr des Menschen zu erkennen und zu verstehen, wie essenziell der Rhythmus von Tag und Nacht mit den Funktionen des Lebens zusammenhängt. Diese zirkadianen Rhythmen sind eine der wichtigsten Eigenschaften des Lebens, denn durch die Rotation der Erde um die Sonne und um sich selbst verändern sich die Lebensbedingungen seiner Bewohner stetig. Hell folgt auf Dunkel, Wärme auf Kälte, und das in einem Rhythmus von 24 Stunden, aber auch im Wechsel der Jahreszeiten. Die Zellen von niederen wie höheren Lebewesen reagieren auf diese Veränderungen nicht nur durch ihr Verhalten, sondern auch physiologisch, also körperlich. Es sind unentbehrliche Reaktionen, ohne sie wäre das Leben auf der Erde nicht möglich. Wird der Rhythmus hingegen gestört - etwa wenn der Mensch nach der Zeitumstellung im Frühjahr plötzlich eine Stunde früher aufstehen soll - gerät der Stoffwechsel durcheinander.

Lange Zeit hatte man der inneren Uhr, wie sie oft genannt wird, in der Biologie und Medizin jedoch wenig Beachtung geschenkt. Die ersten Forscher, die sich intensiv mit diesen rhythmischen Anpassungen physiologischer Funktionen auseinandersetzten und heute als Pioniere der Chronobiologie gelten, waren der Biologe Jürgen Aschoff und der Botaniker Erwin Bünning. Gemeinsam mit dem britischstämmigen Amerikaner Colin Pittendrigh beobachteten und beschrieben die zwei Deutschen in den 1960er Jahren, wie sich etwa die Temperaturregulation in Tieren und die Photoreaktion in Pflanzen an den Wechsel von Tag und Nacht anpassen. Besonderes Aufsehen erregten Aschoffs Bunkerversuche an Menschen, für die sich Freiwillige ab 1963 über Wochen hinweg in einen ehemaligen Wehrmachtsbunker einschließen ließen, abgeschottet von Umwelt und Tageslicht. Aschoff bewies damit, dass die innere Uhr nicht durch äußere Einflüsse gesteuert wird, sondern sich im Zuge der Evolution als eigenständige, elementare Funktion des Körpers etabliert hatte. Sie musste in den Genen festgeschrieben sein. Offen blieb: Welche Gene sind an der inneren Uhr beteiligt - und wie regulieren sie die Funktionen des Körpers?

Experimente mit Fruchtfliegen brachten den Durchbruch

Es sollte noch zwei Jahrzehnte dauern, bis die diesjährigen Nobelpreisträger die grundlegende Frage nach den Genen lösen konnten. Das entscheidende erste dieser Gene, "period" genannt, war zwar bereits 1971 in der Taufliege Drosophila melanogaster entdeckt und als bedeutsam für die innere Uhr erkannt worden. Doch gelang es Jeffrey Hall und Michael Rosbash 1984, das Gen zu sequenzieren und zu klonen, also für die Forschung zu isolieren und auch zu vervielfältigen. Im gleichen Jahr zeigte Michael Young, dass ein funktionelles period-Gen unverzichtbar für einen zirkadianen, also an eine Tageslänge angepassten Rhythmus ist. Fehlt der Taufliege ein funktionierendes period-Gen, wird es arrhythmisch in seinen Körperfunktionen.

In den folgenden Jahren identifizierte Young weitere Gene, die am Zusammenspiel von Tag-Nacht-Rhythmen und Physiologie maßgeblich beteiligt sind. Zu ihnen gehören in der Taufliege die Gene timeless, außerdem clock und cycle. "Man kann sagen, dass diese drei Wissenschaftler mit ihren Arbeiten die molekulare Chronobiologie begründet haben", sagt Henrik Oster, Chronophysiologe von der Universität in Lübeck. Eine weitere Erkenntnis der drei war, dass jeweils zwei dieser Gene ein funktionelles Paar bilden, das entweder tagsüber oder nachts aktiviert wird und dabei die Aktivität des anderen Paars unterdrückt. Das von Young entdeckte timeless bildet demnach mit period ein nachtaktives Paar, das nachts die Funktion von cycle und clock hemmt. Tagsüber ist es genau umgekehrt. "Diese Mechanismen greifen wie Zahnräder einer Uhr ineinander", erklärt Henrik Oster. Dieser sogenannte "Transcription-Translation Feedback Loop", kurz TTL genannt, ist wohl die entscheidende Entdeckung der Nobelpreisträger. Er lässt sich durchweg im gesamten Tierreich finden, hat sich also im Zuge der Evolution auf bemerkenswerte Weise durchgesetzt. Auch der Mensch besitzt solche Gene, die zwar teilweise anders heißen als in der Taufliege, aber auf sehr ähnliche Weise funktionieren.

Stress und ungesunde Ernährung können die innere Uhr verwirren

Die diesjährige Auszeichnung zeigt erneut die Bedeutung der Grundlagenforschung. Die drei Wissenschaftler forschen nicht an Menschen und auch nicht speziell an Krankheiten, haben aber mit ihren Arbeiten an Taufliegen den entscheidenden Beitrag zum Verständnis der inneren Uhr des Menschen geliefert. Hall und Rosbash haben dafür sehr eng zusammengearbeitet, teilweise in einem gemeinsamen Labor. Insbesondere Rosbash mit seinem sehr charismatischen Auftreten hat eine zentrale Rolle für das Forschungsfeld gespielt. Er ist heute noch wissenschaftlich aktiv, hat nach Aussage der Nobelpreiskomitees aber höchst überrascht auf die Auszeichnung reagiert. "Hall dagegen hat sich immer eher im Hintergrund gehalten und sich um die technischen Fragen gekümmert", berichtet Henrik Oster, der den beiden Laureaten im Verlauf seiner Karriere oft begegnet ist. Young als dritter Nobelpreisträger hat in seinem Labor an der Rockefeller University viele junge Forscher zu späteren Protagonisten des Forschungsfeldes ausgebildet.

Auf die Erkenntnisse der drei Laureaten aufbauend ist die Chronobiologie heute ein blühendes Forschungsfeld, das sich allerdings wieder den größeren Zusammenhängen widmet. Zum Beispiel der Frage, wie die zentrale Uhr im Gehirn des Menschen als Taktgeber mit den inneren Uhren der Gewebe kommuniziert. "Es geht heute darum, die Funktion der Gene systemisch zu beschreiben, wie sie in den verschiedenen Zelltypen und Organen zusammenspielen", erklärt Oster. Und dabei geht es längst nicht mehr nur um den Jetlag. Die innere Uhr spielt vermutlich auch in vielen anderen, noch nicht so gut erforschten Zusammenhängen eine Rolle. Zum Beispiel für die Ernährung. Viele Wissenschaftler untersuchen derzeit, wie der Körper von Labortieren und auch von Menschen mit verschiedenen Nährstoffen zurechtkommt, wenn sie entweder morgens, tagsüber oder abends aufgenommen werden. An Mäusen haben Forscher zum Beispiel gezeigt, dass eine defekte "innere Uhr" rascher zu Fettpolstern führt. Oster zufolge ist aber noch unklar, ob diese Mechanismen beim Menschen genau so ausgeprägt sind. "Was man sicher sagen kann, ist, dass es gesünder ist, tagsüber zu essen statt nachts", sagt der Lübecker Experte.

Abgesehen vom Essen bleiben aber andere zentrale Fragen noch offen. Eine davon ist eine Zivilisationskrankheit, die vermutlich immer noch unterschätzt wird: Stress. Wie das Zivilisationsphänomen mit der inneren Uhr zusammenhängt und welche Folgen ein Leben gegen die innere Uhr für die Gesundheit hat, das wird noch viele Forscher ausgiebig beschäftigen. Vielleicht bewirken sie eines Tages, dass die unsinnige Zeitumstellung im Frühjahr und im Herbst tatsächlich aufgegeben wird.

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