Süddeutsche Zeitung

Sportverletzungen:"Viele der Jungs sind körperlich kurz vor dem Ende"

Der Kreuzbandriss von Niklas Süle zeigt die Risiken ständiger Belastung im Profisport. Häufig bleibe kaum Zeit zum Auskurieren einer Verletzung, kritisieren Orthopäden.

Von Werner Bartens

Auch ein Kerl wie ein Baum kann gefällt werden. Wer sah, wie Niklas Süle am vergangenen Samstag nach wenigen Minuten im Spiel gegen Augsburg zusammensackte und sich das linke Knie hielt, ahnte, dass Schlimmeres passiert war. Der 1,95 Meter große und 97 Kilogramm schwere Abwehr-Hüne des FC Bayern München musste in der 12. Minute ausgewechselt werden, nachdem er sich das Knie verdreht hatte, als er nach Laufduell und Sprung falsch aufgekommen war.

Die medizinische Untersuchung ergab die bei Sportlern besonders gefürchtete Diagnose Kreuzbandriss; der 24-jährige Nationalspieler wurde bereits operiert. Früher bedeutete eine solche Verletzung für Profifußballer das nahezu sichere Karriereende, heute werden Statistiken aufgestellt, nach wie vielen Wochen und Monaten die Kicker wieder am Spielbetrieb teilnehmen können. Bei Nationalspieler Sami Khedira dauerte es weniger als ein halbes Jahr, da stand er nicht nur wieder auf dem Platz, sondern im Kader für die WM 2014. Anschließend erlitt er allerdings erneut Verletzungen am Knie, sodass er immer wieder für längere Zeit ausfiel.

"Durch den aufgeblähten Spielplan sind viele der Jungs körperlich kurz vor dem Ende"

"Ein Pressschlag, das verdrehte Knie, wenn die Stollen im Rasen haften und Sprünge mit unkontrollierter Landung sind die Situationen im Sport, bei denen das höchste Verletzungsrisiko besteht", sagt der Orthopäde Marcus Schiltenwolf von der Uniklinik Heidelberg. "Meistens ist das vordere Kreuzband betroffen." Häufig abgebremste Bewegungen und schnelle Richtungswechsel bei hohem Tempo erhöhen das Risiko ebenfalls.

Erst im August hatte sich Leroy Sané, Nationalspieler und Stürmer von Manchester City, das Kreuzband gerissen. Oft trifft es gerade jene Spieler, die durch die Belastung in der Liga, dem Pokal, den europäischen Wettbewerben und der Nationalmannschaft besonders häufig im Einsatz sind. "Durch den aufgeblähten Spielplan sind viele der Jungs körperlich kurz vor dem Ende", kritisiert Orthopäde Schiltenwolf. "Das ist im Handball genauso. Im Training wird zudem zu wenig auf Stabilisierung geachtet."

Rücksicht auf die Gesundheit der Spieler ist im Profisport nicht das oberste Gebot. Im engen Zeitplan von Training und Spielen bleibt kaum Zeit für den Körper, sich komplett zu regenerieren. "Dann droht Ermüdung, weswegen sich Verletzungen besonders gegen Karriereende oder bei Profis häufen, die oft spielen", sagt Schiltenwolf. Dass derzeit in der Diskussion nach Süles Verletzung betont wird, wie wichtig er für den FC Bayern und die Nationalelf ist, mag für den Innenverteidiger Anerkennung und Lob sein, zeigt aber das Dilemma für besonders begabte Athleten. Zudem haben Sportler während ihrer Karriere selten Zeit, eine Verletzung vollständig auszukurieren. Die Geschichte der Kreuzbandrisse zeigt, dass auf den ersten häufig ein zweiter oder dritter folgte. Die Verletzung passiert in Deutschland etwa hunderttausendmal im Jahr, statistisch alle fünf Minuten. Breitensportler können warten, müssen sich nicht unbedingt operieren lassen. Im Fall von Niklas Süle wird derzeit vor allem diskutiert, ob er 2020 zur EM wieder fit ist.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019
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