Süddeutsche Zeitung

Niederländische Studie:Zu Hause gebärt es sich besser

Eine Hausgeburt ist für eine gesunde Mutter statistisch weniger riskant als die Entbindung in der Klinik. So lautet das Ergebnis einer niederländischen Studie. Unter bestimmten Umständen ist das Risiko allerdings höher - für die Kinder.

Von Kathrin Burger

Die einen vertrauen auf die Technik, die anderen sehnen sich nach mehr Natürlichkeit. Mehr als jedes dritte Kind in Deutschland kommt inzwischen per Kaiserschnitt zur Welt, und zugleich gibt es einen starken Trend zur möglichst natürlichen Geburt. Noch hat die "Freebirthing-Bewegung", derzufolge Frauen ihre Kinder auch gut allein zu Hause ohne jegliche Hilfe zur Welt bringen können, eher wenige Anhänger. Doch in manchen Kreisen ist es bereits "in", auf jegliche Schmerzmittel wie die Periduralanästhesie (PDA) zu verzichten. Auch die Zahl der außerklinischen Geburten, zu Hause oder in Geburtshäusern, nimmt leicht zu.

Anders als oft befürchtet, muss eine Hausgeburt mit einer erfahrenen Hebamme für die Mutter nicht gefährlicher sein als eine Geburt in der Klinik - wenn die Voraussetzungen stimmen. Das legt jetzt eine große Studie aus den Niederlanden nahe, wo die Hebammenwissenschaftlerin Ank de Jonge von der Universität Amsterdam mehr als 140.000 Geburten untersucht hat (British Medical Journal, online).

In ihre Studie nahm Jonge ausschließlich Gebärende auf, bei denen nur ein geringes Risiko für Komplikationen bei der Geburt zu erwarten war. Frauen, die Mehrlinge im Bauch trugen oder früher schon einmal einen Kaiserschnitt hatten, wurden beispielsweise ausgeschlossen. Dann untersuchte Ank de Jonge, wie es den beiden Gruppen von Frauen erging, die noch während der Schwangerschaft entschieden hatten, ob sie ihr Kind lieber zu Hause oder in der Klinik zur Welt bringen wollten. Tatsächlich verliefen die Geburten zu Hause im Durchschnitt besser; bei ihnen ergaben sich weniger schwerwiegende Komplikationen. Dabei wurden auch jene Geburten, die zu Hause begannen, dann aber doch in der Klinik endeten, in die Hausgeburten mit eingerechnet.

So kam es bei den Frauen mit geplanter Hausgeburt seltener zu Verlusten von mehr als einem Liter Blut; es gab seltener Gebärmutter-Rupturen, auch musste die Plazenta nicht so häufig manuell hervorgeholt werden. Vor allem Frauen, die bereits Mutter waren, erging es bei der Hausgeburt besser als im Krankenhaus: Nur bei einer von 1000 dieser Gebärenden traten Komplikationen auf, im Krankenhaus war dies bei 2,3 von 1000 der Fall; starke Blutungen hatten 20 von 1000 zu Hause Gebärenden, in der Klinik waren es 38 von 1000.

"Interventionskaskade"

Das überraschende Ergebnis erklärt Jonge wie folgt: Im Krankenhaus würden allzu schnell medizinische Eingriffe vorgenommen, sagt sie. Schwangere mit Wehen gehen aus Unsicherheit oft zu früh in die Klinik. Aus Sorge, dass etwas passieren könnte, behält das Personal die Frauen dann da. Und weil der Zeitdruck und die Angst vor Komplikationen im Krankenhaus meist groß ist, wird bald ein Wehentropf angelegt, damit die Geburt vorangeht. Das wiederum erhöht das Risiko für weitere Eingriffe etwa mit der Saugglocke oder einem Kaiserschnitt. Zwar ist die Rate an Eingriffen in der Klinik auch deshalb erhöht, weil alle Frauen, bei denen eine komplizierte Geburt abzusehen ist, nicht zu Hause entbinden. Doch das ist nicht die ganze Erklärung.

Die Hebammenwissenschaftlerin Nicola Bauer von der Hochschule für Gesundheit in Bochum spricht von einer "Interventionskaskade", die schließlich die Gesundheit der Mutter beeinträchtigt. Auch laut Ank de Jonges Studie ist für Frauen mit niedrigem Risiko "die Rate für Interventionen bei geplanten Hausgeburten niedriger als bei geplanten Klinikgeburten". Zum Beispiel gebe es seltener Kaiserschnitte. Und diese sollten möglichst vermieden werden, "weil sie mit Komplikationen bei und nach der Geburt einhergehen".

Bei Geburten im Kreißsaal komme es zu 20 bis 60 Prozent mehr Eingriffen, sagt Ole Olsen, Statistiker an der Universität Kopenhagen. Dabei nehme die Zahl der Komplikationen bei der Entbindung in Industriestaaten stetig zu, ohne dass dies erklärbar wäre. So erleben weniger als zehn Prozent der Frauen hierzulande eine Geburt ohne jegliche Eingriffe. "Die Zahl der Eingriffe in Krankenhäusern ist zu hoch", meint auch Birgit Seelbach-Göbel vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). "Ich verstehe den Wunsch vieler Frauen nach außerklinischer Geburtshilfe."

Obendrein ist unklar, ob der Trend zur Hightech-Geburt überhaupt einen Vorteil für die Frauen hat: "Es liegen kaum evidenzbasierte Daten vor, die beweisen, dass diese Eingriffe wesentlich zur Verbesserung der geburtshilflichen Qualität beigetragen haben", sagt Volker Maaßen, Leitender Arzt für Geburtshilfe und Gynäkologie am Asklepios-Krankenhaus Harburg.

Zweifelsohne aber haben auch Hausgeburten Nachteile: Etwa jede achte muss abgebrochen und in der Klinik fortgeführt werden; der Anteil ist bei Erstgebärenden besonders hoch. "Allerdings verlaufen rund 92 Prozent dieser Verlegungen ohne Eile, etwa wegen eines Geburtsstillstandes oder weil die Mutter erschöpft ist und eine PDA wünscht", erklärt die Hebammenwissenschaftlerin Bauer.

Für die zur Welt kommenden Kinder scheinen die Risiken zu Hause unter bestimmten Bedingungen erhöht zu sein. Zwar ergaben frühere Studien insgesamt keinen Vorteil für eine Geburt in der Klinik. Aber bei Kindern von Erstgebärenden war die Komplikationsrate unter der Hausgeburt sehr wohl erhöht, wie 2011 eine britische Studie namens Birthplace in England herausfand. So kamen bei Hausgeburten 9,3 schwere Vorfälle auf 1000 Babys, in der Klinik waren es 5,3, in Geburtshäusern 4,6. Zu diesen Vorfällen zählt zum Beispiel die Neonatale Enzephalopathie, eine krankhafte Veränderung des Gehirns, die etwa durch Sauerstoffmangel ausgelöst wird; oder die Mekoniumaspiration, bei der der schwarze Darminhalt des Kindes in die Lungen gelangt, was zu Atemnot und Herzkreislaufstörungen führen kann.

Viele Ärzte wie auch Seelbach-Göbel raten deshalb von der Hausgeburt ab. In einer Stellungnahme der DGGG heißt es: "Die größtmögliche Sicherheit für Mutter und Kind kann nur in einer Geburtsklinik gewährleistet werden." Manche Experten halten es gar für unverantwortlich, in den eigenen vier Wänden zu gebären. Der Statistiker Olsen, der auch Autor einer Analyse der Cochrane Collaboration zum Thema Geburts-Ort aus dem Jahr 2012 ist, meint dagegen: "Es gibt keine Studien, die belegen, dass Klinikgeburten sicherer sind, wenn die Hausgeburt einem gewissen Standard entspricht."

Säuglingssterblichkeit in den Niederlanden auffallend hoch

Wichtig ist vor allem eine gut ausgebildete Hebamme. "Hebammen, die in Deutschland außerklinisch arbeiten, sind in der Regel hoch qualifiziert", versichert Nicola Bauer. Laut Hebammengesetz kommen Hausgeburten infrage, wenn die Mutter keine Vorerkrankungen hat und der Weg von zu Hause in die Klinik nicht länger als 20 Minuten dauert. "Demgemäß könnte auch eine Erstgebärende eine Hausgeburt machen", sagt Bauer.

Die Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) erstellt jährlich einen Bericht, in dem Komplikationen, Verlegungen und Sterblichkeitsraten ermittelt werden. Mehr als 10.000 Kinder sind demnach im Jahr 2011 in Deutschland außerhalb der Klinik geboren. Mehr als 99 Prozent der Lebendgeborenen hatten einen Apgar-Wert von sieben oder mehr. Das bedeutet, dass der Gesundheitszustand dieser Neugeborenen von den jeweils ausführenden Hebammen mit "sehr gut" bewertet wurde.

In den Niederlanden, wo die Hausgeburten gemäß der neuen Studie für die Mütter so positiv verliefen, gebären 20 bis 30 Prozent der Frauen zu Hause, während in Deutschland gerade einmal zwei Prozent eine Geburt außerhalb der Klinik ernsthaft erwägen. Allerdings ist die Säuglingssterblichkeit in den Niederlanden im internationalen Vergleich auffallend hoch: Es sterben rund 100 von 10.000 Kindern bei der Geburt oder innerhalb von sieben Tagen danach, in Deutschland sind das nur 47 von 10.000 Neugeborenen.

Eine 2008 publizierte Studie namens Peristat hat ergeben, dass die hohe perinatale Mortalität in den Niederlanden durch die Hausgeburten verursacht sei. Andere Studien führen aber weitere mögliche Gründe an - das im Durchschnitt hohe Alter der niederländischen Mütter etwa, die seltene pränatale Diagnostik, die noch während der Schwangerschaft auf angeborene Krankheiten hinweist, und die zurückhaltende Behandlung von Frühgeborenen.

Einen Kompromiss zwischen Haus- und Klinikgeburt bieten neuerdings hebammengeleitete Kreißsäle, von denen es deutschlandweit derzeit 15 gibt. Hier betreut jede Hebamme nur eine werdende Mutter; sie muss sich also nicht gleichzeitig um mehrere Gebärende kümmern, wie das in Kliniken der Normalfall ist. Ärzte sind nicht anwesend, aber für Notfälle schnell zur Stelle. In einem solchen Hebammenkreißsaal erlebte die Hälfte der Frauen einer Studie Nicola Bauers aus dem Jahr 2011 zufolge eine interventionsfreie Geburt ohne Wehenmittel, Saugglocke oder Dammschnitt, während es im ärztlich geleiteten Kreißsaal nur 23 Prozent waren. "Eine Geburt verläuft meist dann ohne Komplikationen, wenn die Frau sich wohl und sicher fühlt. Und das tut sie, wenn sie Vertrauen hat", meint Bauer. Eine ständig anwesende Hebamme kann dazu offenbar einen guten Beitrag leisten.

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SZ vom 29.06.2013/fzg
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