Wachkoma-Patienten haben offene Augen, können blinzeln, schlucken, atmen und zucken manchmal auch zusammen, aber auf ihre Umgebung reagieren sie nicht mehr. In so einen Zustand können Menschen nach schweren Hirnschäden geraten, zum Beispiel durch Autounfälle oder Blutungen im Gehirn. Nur: Sind sie von ihrer Außenwelt tatsächlich nahezu abgeschirmt? Dieser Frage sind Forscher um den Neurologen und Medizinethiker Nicholas Schiff vom Weill Cornell Medical College nachgegangen, ihre Studie wurde kürzlich im New England Journal of Medicine publiziert. Demnach könnte bei jedem vierten untersuchten Patienten eine Form von Bewusstsein vorhanden sein.
Die Forscher testeten insgesamt 358 Patienten an sechs internationalen Zentren. 241 von ihnen reagierten nicht auf äußere Reize, sie befanden sich im Wachkoma oder in einem minimalen Bewusstseinszustand, der nicht ganz leicht vom Wachkoma abzugrenzen ist. Die Forscher stellten den Patienten Aufgaben, etwa sollten sie sich vorstellen, einen Tennisball mit der rechten Hand zu schlagen. Äußerlich rührten sich die Patienten nicht. Mithilfe von Elektroenzephalografie (EEG) und funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) konnten die Forschenden aber beobachten, ob sich die Aktivität im Gehirn verändert. Leuchten ähnliche Regionen auf wie bei gesunden Probanden, die dieselbe Aufgabe bekommen, muss man davon ausgehen, dass die Patienten gerade an den Tennisball denken.
Bei 60 der untersuchten Patienten ohne äußere Reaktionen deutete die gemessene Hirnaktivität auf aktive Wahrnehmungsfähigkeit hin – das entspricht 25 Prozent. Das ist zwar mehr, als frühere Untersuchungen zeigen konnten. Es bräuchte allerdings repräsentative Untersuchungen mit noch deutlich mehr Probanden, um genauere Zahlen zu bekommen, wie die Autoren in ihrer Arbeit selbst einschränken.
„Wir wissen nicht genau, was diese Patienten wirklich fühlen.“
Aber zumindest deuten die Hirnscans darauf hin, dass nicht wenige Patienten im Wachkoma womöglich hören und denken können, eventuell könnten sie sogar über Gehirn-Computer-Schnittstellen kommunizieren. In der Medizin wird dieser Zustand als Cognitive Motor Dissociation oder Functional Locked-in Syndrome bezeichnet.
Es war lange umstritten, ob es überhaupt möglich ist, dass Menschen kaum oder gar nicht auf ihre Umwelt reagieren, im Inneren aber dennoch eine Form von Bewusstsein existiert. Seit einigen Jahren häufen sich Berichte über Fälle, die genau das nahelegen. Die aktuelle Studie stützt diese Vermutung weiter.
Um den Bewusstseinszustand im Wachkoma zu messen, wird üblicherweise das Verhalten der Patienten systematisch beobachtet. Zum Beispiel testen Ärztinnen und Ärzte, ob die ansonsten regungslosen Patienten mit den Zehen wackeln können, oder ob sie einem Spiegel vor dem Gesicht mit den Augen folgen. Bei Menschen mit Cognitive Motor Dissociation stoßen solche Tests allerdings schnell an ihre Grenzen. Die Betroffenen werden häufig als komatös eingestuft, obwohl ihre Hirnaktivität messbar ist.
Aussagen über das subjektive Empfinden der Patienten lassen sich aus den Scans nicht ableiten. Denn eine höhere Aktivität in bestimmten Hirnregionen sagt nichts über Schmerzempfinden, Langeweile, Dankbarkeit oder andere Empfindungen aus. „Wir wissen nicht genau, was diese Patienten wirklich fühlen“, sagte Schiff dem New Scientist.
Für Angehörige könnten derartige Untersuchungen dennoch hilfreich sein. Weiß man etwa, dass es nicht vergebens ist, mit dem regungslosen Patienten zu sprechen, macht das für viele Menschen einen großen Unterschied.