Neuer Pflegebericht:Wenig Würde, kaum Wert

Von allen Erkenntnissen des aktuellen Pflegereports ist diese die erschreckendste: Bei knapp der Hälfte der Pflegeheim-Bewohner besteht eine Gefahr des Wundliegens. Zwar sind die Zahlen besser geworden. Doch die Situation der Pflegebedürftigen ist noch immer katastrophal.

Guido Bohsem

Das Wundliegen kann schon nach ganz kurzer Zeit beginnen, drei oder vier Tage reichen aus. An den betroffenen Stellen zeigen sich leichte Rötungen. Sie jucken, brennen und sie schmerzen. Das Druckgeschwür, Dekubitus, ist eine der häufigsten Erkrankungen bei bettlägerigen Pflegefällen. Weil diese Menschen sich oft nicht alleine drehen können, liegen sie die betroffenen Hautpartien wund. Reagiert das Pflegepersonal nicht umgehend, bilden sich Blasen, die Haut wird zerstört, und schließlich sind auch tieferliegende Muskeln oder gar Knochen vom Druckgeschwür betroffen.

Zeitung: NRW droht dramatischer Mangel an Pflegekraeften

Vor fünf Jahren hat der Pflegebericht die Gesellschaft alarmiert. Seither haben sich die Zahlen zwar verbessert, allerdings wird noch immer nur eine Minderheit der Pflegebedürftigen ausreichend gut versorgt.

(Foto: dapd)

Von allen Erkenntnissen des am Dienstag veröffentlichten Pflegereports ist diese die erschreckendste: Bei knapp der Hälfte der Pflegeheim-Bewohner besteht eine Gefahr des Wundliegens, und in etwa 40 Prozent dieser Fälle wurde nicht genug getan, um die Erkrankung erst gar nicht entstehen zu lassen.

"Dabei ist das Vorbeugen mitunter ganz einfach", sagte Jürgen Brüggemann am Dienstag bei der Vorstellung des Reports. "Man muss nur aufmerksam sein." So gebe es Spezialmatratzen, die den Druck regelmäßig auf andere Körperstellen verlagern. Die würden auch eingesetzt, doch häufig werde das falsche Gewicht eingestellt. "Das ruiniert den gewünschten Erfolg durch die Matratze", berichtete Brüggemann.

Alle drei Jahre legt der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) die Ergebnisse seiner Kontrollen der Pflegeheime und der ambulanten Pflegedienste vor. Zwischen Juli 2009 und Dezember 2010 untersuchten die Experten den Pflegezustand und die Versorgungssituation von mehr als 100.000 Menschen. Im Vergleich zu 2007 werden die Bedürftigen im Heim und zu Hause nun angemessener gepflegt. "Die Pflegebedürftigen werden nun besser versorgt", sagte das Vorstandsmitglied des Spitzenverbandes der Krankenkassen, Gernot Kiefer. Es gebe aber noch viel zu tun. "Die Tatsache, dass es insgesamt besser geworden ist, heißt nicht, dass es überall gut ist."

Nur eine Minderheit der Pflegebedürftigen werde nicht ausreichend gut versorgt, urteilte auch der Chef des Medizinischen Dienstes, Peter Pick. "In diesen Fällen besteht jedoch akuter Handlungsbedarf." Wie bei den Druckgeschwüren, wo gar keine Verbesserung eingetreten ist. Dabei gelten die Erkenntnisse über Entstehung und Vermeidung des Dekubitus als gesichert, urteilte MDK-Experte Brüggemann. Diese Erkenntnisse müssten unbedingt angewandt werden, dadurch sinke die Zahl der Erkrankungen deutlich.

Als gravierend stufen die Prüfer weiterhin auch die Situation bei den Fesselungen in den Heimen ein. Diese werden meist zum Schutz der Pflegebedürftigen angeordnet, um beispielsweise Stürze zu verhindern. Rund 140.000 Menschen werden nach der Untersuchung des MDK mit Gittern oder Gurten im Bett oder Rollstuhl festgehalten. Bei 14.000 von ihnen fehlt die vorgeschriebene Genehmigung. GKV-Vorstand Kiefer forderte, solche Freiheitseinschränkungen deutlich seltener anzuwenden - und in jedem Fall den Rechtsweg einzuhalten. Nach Brüggemanns Worten gibt es zur Vermeidung von Stürzen ohnehin bessere Möglichkeiten als das Anschnallen der Patienten. So könne man extra niedrige Betten einsetzen, um die Fallhöhe zu verringern.

Defizite bei Schmerzpatienten

Auch bei der Versorgung von Schmerzpatienten gibt es nach Einschätzung der MDK-Experten noch Verbesserungsbedarf. Etwa ein Drittel der Pflegefälle leide an chronischen oder akuten Schmerzen. Allerdings sei nur etwa die Hälfte systematisch nach ihrer Einschätzung der Schmerzen befragt worden. Wer eine Schmerztherapie bekam, erhielt diese in den allermeisten Fällen, wie vom Arzt verordnet. Dieser hohe Wert sei erfreulich, sagte Brüggemann. Allerdings würden sechs von 100 Patienten eine falsche Behandlung erhalten.

Bei den derzeit rund 1,7 Millionen Pflegebedürftigen, die ambulant betreut werden, gibt es ebenfalls weiter Versäumnisse. So unterbleiben bei rund 23 Prozent der Menschen, denen die Pfleger beim Gehen helfen sollen, nachweisbare Leistungen. Nur zwei Fünftel der daheim gepflegten Menschen mit Risiko zum Wundliegen erhalten eine entsprechende Beratung.

Trotz der Zahlen bemühten sich sowohl der Chef des Medizinischen Dienstes, Peter Pick, als auch GKV-Vorstand Kiefer, auf Erfolge hinzuweisen. So helfe das Pflegepersonal in den Heimen besser als früher beim Essen. Knapp zwei Drittel der Heimbewohner hätten Probleme, aus eigener Kraft zu essen. Erhalten sie keine Hilfe oder besonders zubereitete Speisen, droht in kurzer Zeit ein beträchtlicher Gewichtsverlust. Vor drei Jahren mussten noch 36 Prozent auf diese Hilfe verzichten, nun sind es 20 Prozent. Auch die Betreuung der Demenzkranken habe sich verbessert - in den Heimen wie zu Hause.

Nach Einschätzung des MDK ist die Qualitätsentwicklung jedoch in den einzelnen Einrichtungen unterschiedlich. Deshalb sei es wichtig, die Beurteilungen der Heime weiter öffentlich zu machen. "Ein Verzicht auf Pflegetransparenz wäre kontraproduktiv", urteilte Pick.

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