Süddeutsche Zeitung

Neue Therapiemethode:Gefahren der Fäkaltransplantation

Diskret nennt man sie Bakteriotherapie, deutlicher sagt der Name Fäkaltransplantation, worum es bei der neuen Methode geht: Menschen mit schweren Darmerkrankungen erhalten Stuhl von Gesunden übertragen. Das kann helfen - aber auch ungeahnte Nebenwirkungen haben.

Von Hanno Charisius

Die Frau litt seit Monaten an starken Bauchmerzen und Durchfall. In ihren Innereien wüteten Clostridium-Bakterien, die sich auch durch mehrere Antibiotika-Behandlungen nicht vertreiben ließen. Schließlich schlug ihre Ärztin einen neuen Therapieversuch vor: Sie wollte den Darm ihrer Patientin durch eine Fäkaltransplantation sanieren. Dabei wird Stuhl eines gesunden Spenders per Endoskop oder Magensonde in den Darm der erkrankten Person übertragen.

Was obskur klingt, hat bereits einigen Tausend Menschen mit schweren Clostridium-Infektionen geholfen. Und auch die Beschwerden der 32-jährigen Patientin aus Rhode Island verschwanden nach dem Stuhltransfer rasch. Als sie allerdings nach etwa einem Jahr wieder ihre Ärztin aufsuchte, klagte sie, dass sie enorm zugenommen hätte. Liegt das an der Behandlung?

Neha Alang und Colleen Kelly, zwei Ärztinnen der Patientin, die anonym bleiben möchte, beschreiben ihren Fall im Fachblatt Open Forum Infectious Diseases (online). Die beiden Gastroenterologinnen schließen nicht aus, dass auch weitere Faktoren das Gewicht der Patienten beeinflusst haben könnten.

"Das Problem Übergewicht ist natürlich vielschichtig", sagt auch Thomas Seufferlein von der Uniklinik Ulm, einer der Ersten, der eine Fäkaltransplantation in Deutschland gemacht hat. "Man kann sich auch vorstellen, dass ein Patient, der eine langdauernde Clostridium-Infektion übersteht, an Gewicht zunimmt." Andererseits sei es durchaus möglich, dass Darmbakterien eine Rolle bei der Gewichtsregulation spielen. Er sieht in dem Ereignis - wie Alang und Kelly auch - eine klare Warnung, die Stuhlspender extrem sorgfältig auszuwählen.

Etwas diskreter wird diese Behandlungsform auch als Bakteriotherapie bezeichnet. Schließlich geht es bei dem Transfer um die Bakterien im Stuhl des Spenders, die im Darm des Empfängers für Ordnung sorgen sollen. Es ist, als würde man ein ganzes Ökosystem austauschen.

Schätzungsweise 100 Billionen Mikroorganismen besiedeln den menschlichen Körper. Die meisten davon leben im Verdauungstrakt. Sie galten lange Zeit bloß als Verdauungshelfer, die Nahrung aufschließen. Inzwischen hat sich jedoch gezeigt, dass sie darüber hinaus viele wichtige Aufgaben im Körper erledigen. So sind sie wichtige Trainingspartner für das Immunsystem, sie scheinen vor Autoimmunleiden zu schützen und eben auch eine Rolle bei der Entstehung von Übergewicht zu spielen. Einige Wissenschaftler sehen in der Gesamtheit der Bakterien, der "Mikrobiota", inzwischen sogar ein eigenständiges Organ, mit großem Einfluss auf den gesamten Körper. Bei einer Fäkaltransplantation wird demnach das alte, kranke Organ durch ein gesundes ersetzt.

Die Patientin aus Rhode Island hatte Darmbakterien von ihrer 16-jährigen Tochter bekommen, die zum Zeitpunkt des Transfers zwar nach medizinischen Maßstäben etwas schwer aber nicht krankhaft übergewichtig oder adipös war. Bald darauf nahmen allerdings Tochter und Mutter jeweils mehr als 15 Kilogramm zu. Alang und Kelly vermuten, dass die Tochter eine Bakterienmischung in ihrem Verdauungstrakt beherbergt, die Gewichtszunahme begünstigt, indem etwa die Mikroben Nahrung besonders effektiv in für den Menschen verwertbare Nährstoffe aufschließen. Zum Zeitpunkt der Spende war dieser Effekt allerdings noch nicht zu sehen.

Dass Übergewicht auf diese Weise ansteckend sein kann, haben bereits Tierversuche gezeigt. Mäuse etwa legen Gewicht zu, wenn man ihnen Darmbakterien von übergewichtigen Menschen überträgt. Bei Menschen war dies zwar zuvor noch nie beobachtet worden, allerdings habe man es erwartet, sagt Andreas Stallmach, Gastroenterologe vom Universitätsklinikum in Jena. "Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein solcher Fall auftauchen würde." Die Darmbakterien greifen in den Hormonhaushalt des Menschen ein und könnten darüber sogar die Genaktivität verändern, erklärt Stallmach, der zusammen mit anderen Ärzten Patienten in einem Register erfasst, die eine Fäkaltransplantation bekommen haben. So wollen die Mediziner die Langzeitwirkung dieser manchmal lebensrettenden Behandlungsform erforschen.

Die Spender werden zwar gründlich untersucht, um Infektionen auszuschließen. Allerdings kann niemand vorhersagen, welche Leiden ein Spender später im Leben entwickelt, die mit seinen Darmbakterien zusammenhängen. Es könnte sein, dass man die Disposition für eine Stoffwechselerkrankung mit transferiert, auch wenn die beim Spender noch nicht zu erkennen sei, sagt Stallmach. Vielleicht werde eine "Zeitbombe" übertragen, weshalb seiner Auffassung nach nur sehr schwere Leiden so behandelt werden sollten, wie etwa immer wiederkehrende Infektionen mit Clostridium-difficile-Bakterien, die sich nicht mit Antibiotika bekämpfen lassen. Oft verschwinden bei solchen Patienten die Beschwerden innerhalb eines Tages nach dem Bakterientransfer.

Der Erfolg der Fäkaltherapie hat sich inzwischen auch unter Menschen mit anderen Leiden herumgesprochen. In Online-Foren wird dem Mikrobentransfer wundersame Wirkung auch gegen Multiple Sklerose, Darmentzündungen, Schlaflosigkeit, Depressionen, Mundgeruch und Akne nachgesagt. Im Internet kursieren Anleitungen für die Do-it-yourself-Fäkaltransplantationen daheim - etwas wovor Gastroenterologen einstimmig warnen und das nicht nur wegen der Infektionsgefahr.

Fäkaltransplantationen können Leben retten, aber auch unerwünschte Wirkungen haben

Der Fall aus Amerika zeigt, dass längst noch nicht klar ist, wer der ideale Spender für eine Fäkaltransplantation ist. Deshalb sei eine gründliche Charakterisierung der Spender notwendig, sagt Thomas Seufferlein, "nicht nur in Bezug auf Viren und andere Pathogene, sondern auch in Hinblick auf Gewicht, psychische Erkrankungen und Allergien". In Deutschland gibt es dazu erste Vorschläge, aber noch keine klaren Richtlinien. Manche Experten bezeichnen Fäkaltransplantationen deshalb als den "Wilden Westen" der Medizin und betonen, dass sie nur in Betracht gezogen werden sollten, wenn es keine anderen Optionen mehr gibt. "Das ist ein Verfahren", sagt Seufferlein, "das noch längst nicht in der Tragweite seiner möglichen Wirkungen verstanden ist."

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SZ vom 12.02.2015
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