Spätestens seit sich Alfred Kinsey von den Gallwespen ab- und den Menschen zuwandte und seine Erkenntnisse über das Sexualverhalten des Mannes (1948) und der Frau (1953) veröffentlichte, ist das Interesse an Berichten über das menschliche Intimverhalten ungebrochen.
Die meisten einschlägigen Erhebungen stammen allerdings von Partnerbörsen, Kondomherstellern oder aus Online-Befragungen und sind daher von zweifelhafter Seriosität. Derartige Daten sind meist verzerrt, weil dabei bevorzugt Vorlieben bekenntnisfreudiger junger Männer und Frauen aufscheinen - und nicht das Liebesleben des Durchschnitts.
Wie löblich, dass sich das Deutsche Ärzteblatt des Themas in der kommenden Woche annimmt und um wissenschaftliche Genauigkeit bemüht ist. Psychologen der Technischen Universität Braunschweig um Julia Haversath haben die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung ausgewertet und betonen, dass die Daten besonders für die Vorbeugung und Behandlung sexuell übertragbarer Erkrankungen von Interesse sind. Zwar bleiben die Neuinfektionen mit HIV, Chlamydien und Gonorrhö in Deutschland weitgehend konstant; die Syphilis-Fälle nehmen hingegen zu.
Mehr als 2500 Menschen im Alter zwischen 14 und 100 Jahren nahmen an der Erhebung zum Sexualverhalten teil. Ihre sexuelle Orientierung beschreiben 82 Prozent der Frauen und 86 Prozent der Männer als ausschließlich heterosexuell. Lediglich fünf Prozent der Männer und acht Prozent der Frauen geben an, schon mal gleichgeschlechtliche Sexualkontakte erfahren zu haben.
Über Verhütung "keine Gedanken" gemacht
Mehr als die Hälfte der Teilnehmer lebt in einer festen Partnerschaft. Von ihnen geben 76 Prozent an, nie Kondome innerhalb der Partnerschaft zu benutzen, zwölf Prozent manchmal. Unter den Frauen im gebärfähigen Alter verhüten 51 Prozent mit der Pille oder ähnlichen Mitteln, 17 Prozent mit anderen Methoden. Immerhin 27 Prozent geben an, sich über die Verhütung "keine Gedanken" zu machen. Fünf Prozent verhüten nicht, weil sie einen Kinderwunsch haben.
Wenig überraschend gehört Vaginalverkehr zum bevorzugten Sexualverhalten der Deutschen. Unter den Befragten haben 88 Prozent der Männer und 89 Prozent der Frauen entsprechende Erfahrungen gemacht. Oralsex als passiver Partner haben bereits 56 Prozent der Männer und 48 Prozent der Frauen erlebt. Aktiven Analverkehr kennen 19 Prozent der Männer, passiven 17 Prozent der Frauen.
Aus anderen wissenschaftlichen Untersuchungen in Deutschland ist bekannt, dass 15 bis 26 Prozent der Frauen und 17 bis 32 Prozent der Männer "sexuelle Außenkontakte" während ihrer aktuellen Beziehung angeben. In Online-Befragungen ergibt sich hingegen die höhere Rate von 29 Prozent für Frauen und 49 Prozent für Männer, die trotz fester Beziehung nicht monogam sind, was die Forscher mit jüngeren, extrovertierten Teilnehmern in der Stichprobe begründen.