Naturheilkunde:Wenn Eltern ihre Kinder gefährden

Immer mehr Deutsche vertrauen auf Homöopathie

Mund auf, Alternativmedizin rein, Kind gesund?

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Dürfen Eltern ihren Kindern schulmedizinische Behandlungen verweigern? Nein, urteilt der BGH. Der Fall zeigt, dass die vermeintlich sanften Methoden lebensgefährlich sein können.

Von Christina Berndt

Ohne Behandlung wäre Kilian heute tot. Da war sich der Richter am Landgericht Nürnberg-Fürth sicher, der im Sommer 2014 das Urteil sprach, das der Bundesgerichtshof nun bestätigt hat. Der schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen hätten sich die Mutter und ihr Lebensgefährte schuldig gemacht. Denn sie ließen den schwerkranken Kilian mit stundenlanger Meditation, strenger Diät und Ananas-Papayasaft, aber ohne wirksame Medikamente gegen seine Krankheit kämpfen, durch die seine Lunge mehr und mehr verschleimte.

Nur die Flucht zu seinem Vater habe den damals 15-Jährigen vor dem sicheren Tod bewahrt, so der Richter - und die Medikamente, die er dann wieder bekam. Der Fall des heute 28-jährigen Kilian ist ein extremes Beispiel dafür, wie groß die Abneigung gegenüber der Schulmedizin mitunter ist, wie unerschütterlich dafür der Glaube an angeblich sanfte Medizin-Methoden - und wie gefährlich.

Steve Jobs hat seine Entscheidung für eine vermeintlich sanfte Medizin bitter bereut

"Auch wenn diese Verfahren in der Bevölkerung einen so guten Ruf haben: Sie sind mit Risiken verbunden, das sollte nicht vergessen werden", betont Edzard Ernst, von der Universität im britischen Exeter emeritierter Professor für Alternativmedizin.

Sein jüngerer Kollege aus München pflichtet ihm bei: "Ich mag den Begriff der sanften Medizin gar nicht", sagt Axel Eustachi vom Kompetenzzentrum für Komplementärmedizin und Naturheilkunde der TU München. "Denn längst nicht alle dieser Methoden sind sanft - im Sinne von nebenwirkungsfrei. Und mitunter geht sogar eine erhebliche Gefahr von ihnen aus."

Auch gegen den Begriff der Alternativmedizin wehrt sich der Arzt, der an der TU München durchaus auf Öl-Salz-Mixturen gegen das unangenehme Kribbeln setzt, das Krebspatienten oft nach einer Chemotherapie plagt, oder auf Ringelblumensalbe für Hautpartien, die unter einer Strahlentherapie leiden. Eustachi spricht lieber von "Komplementärmedizin", denn "die Methoden sollten eben nicht prinzipiell als Alternative zur Schulmedizin gesehen werden, sondern immer als Ergänzung", wie er betont.

Dabei ist es weniger das Problem, dass die Medizin abseits der Schulmedizin an sich gefährlich ist. Tatsächlich sind alternativmedizinische Behandlungen oft eher unproblematisch - die Homöopathie zum Beispiel, deren Präparate zum größten Teil so stark verdünnt sind, dass kein Wirkstoff mehr enthalten ist. "Viele Alternativbehandlungen sind harmlos", so Ernst. "Aber leider sind die Behandler nicht immer harmlos." Dann nämlich, wenn sie ihre Kompetenzen überschreiten, Diagnosen verkennen oder lebensrettende schulmedizinische Behandlungen unterlassen.

Immer wieder sind Edzard Ernst im Laufe seiner Karriere Menschen wie Kilians Mutter und Ziehvater begegnet, die sich "mit nahezu religiöser Überzeugung" einer medizinischen Idee zugewandt haben und fest daran glaubten, das Richtige zu tun.

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