Nanotechnologie:Mini-Maschinen im Leib

Nanotechnologie: Biohybridroboter, chemische Motoren, wachsame Nanopartikel: Forscher arbeiten an Möglichkeiten, den Körper besser zu erkunden.

Biohybridroboter, chemische Motoren, wachsame Nanopartikel: Forscher arbeiten an Möglichkeiten, den Körper besser zu erkunden.

(Foto: DGCS Universität Mexico)

Die aus dem Magen funkende Tablette ist erst der Anfang. Schon bald könnten winzige Roboter auch den hintersten Winkel des menschlichen Körper überwachen und heilen.

Von Hubertus Breuer

Sie leuchten wie zwei Autoscheinwerfer. Doch als sie sich bewegen, werden sie nicht größer, sondern bewegen sich flackernd zur Seite. Nicht lange, dann stehen sie still, als hätten sie in der Dunkelheit ihr Ziel erreicht. Byung-Wook Park blickt von seinem Lichtmikroskop auf: "Ich tippe, die Bakterien haben sich ungefähr acht tausendstel Millimeter bewegt. Das ist ein passables Ergebnis."

Die Bakterien, die Park durch die Linsen beobachtet, sind Escherichia Coli, die sich gerne im Darm des Menschen tummeln. Parks Exemplare sind allerdings besondere Exemplare: Sie wurden über Hunderte Generationen wie Rennpferde auf Geschwindigkeit hin gezüchtet. Für das Tempo sorgen Geißeln, die wie Korkenzieher geformt sind. Und eine erhöhte Säurekonzentration - ähnlich wie die Umgebung eines Krebsgeschwürs im Magen - gibt den schwimmenden Bakterien die Richtung vor. Am Ziel sollen sie phosphoreszierende Nanoteilchen aus Kunststoff abliefern, die an ihnen haften. "Das könnte natürlich auch ein medizinischer Wirkstoff sein", sagt Park. Somit wäre ein Weg gefunden, eines Tages Tumorzellen im Menschen gezielt zu attackieren.

Park ist Postdoc in der Abteilung für Physische Intelligenz am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Ihr Leiter, Metin Sitti, sitzt in weißen Shorts und hellblauem T-Shirt auf einem Drehstuhl neben Park. Seit Jahren - zuerst in Japan, in den USA und seit letztem Herbst in Deutschland - verfolgt Sitti das Ziel, mit nano- und mikrometerkleinen Robotern in den Mikrokosmos des Körpers abzutauchen. Winziger geht es kaum: Ein Nanometer entspricht einem millionstel Millimeter. Die Miniaturmaschinen sollen im Körper punktgenau Medikamente abladen, detaillierte Innenansichten von Magen oder Lunge aufnehmen, Gewebeproben im Darm einsammeln oder gar mit winzigen Skalpellen operieren.

Komplett verrückt ist die Idee nicht. Weltweit arbeiten Robotiker an dem Projekt, das der US-Physiker Richard Feynman in einem Vortrag erstmals 1959 imaginierte, als er vom "schluckbaren Chirurgen" sprach. In den Sechzigerjahren begab sich dann in dem Science-Fiction-Film "Die fantastische Reise" ein bemanntes, geschrumpftes Mini-U-Boot in den Kopf eines Forschers, um dort ein Blutgerinnsel zu beseitigen. Doch was früher bloße Vision war, sei inzwischen in greifbare Nähe gerückt, meint Sitti: "Jüngste Fortschritte in der Mikrorobotik haben wichtige Hürden genommen, um den Traum Wirklichkeit werden zu lassen."

Noch schwimmen Parks Biohybridroboter nur in einer wässrigen Lösung. Das wird sich aber ändern, sobald am Stuttgarter Max-Planck-Institut 2016 ein Tierversuchslabor einsatzbereit sein wird. Dann werden die aufgerüsteten E.Coli-Bakterien in Mäuse- oder Kaninchenmägen tätig. Doch auch durch den Menschen wandern bereits erste Roboter. Etwa die PillCam, die Anfang der Nullerjahre in Europa und den USA auf den Markt kam. Die mit zwei Kameras ausgestattete Kapsel durchläuft den Magen-Darm-Trakt, nimmt Bilder der Schleimhaut des Dick- und Dünndarms auf und sendet sie an ein Speichergerät. Doch diese Kapseln sind mit zwei Zentimetern Größe ungelenke Schlachtschiffe für die Welt der Mikrorobotik.

Vorstoß in den hintersten Winkel des Körpers

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Kleiner ist eine Tablette der kalifornischen Firma Proteus Digital Health, in der sich ein Quadratmillimeter großer Funkchip verbirgt. Wird sie geschluckt, löst sich ihr Mantel auf und der mit Magnesium und Kupfer beschichtete Chip kommt in Kontakt mit Magensäure. Fünf bis zehn Minuten lang hat der Chip dann genügend Energie, um Daten über die Konzentration bestimmter Arzneimittel im Magen an ein High-Tech-Pflaster auf der Haut zu schicken. Das leitet die Information weiter an eine App. So lässt sich zum Beispiel kontrollieren, ob ein Patient tatsächlich die verschriebenen Medikamente einnimmt.

Doch auch diese Tablette bewegt sich nicht im Mikro- oder Nanobereich, in dem Ingenieure wie Sitti die Zukunft der Miniroboter sehen. Sie wünschen sich kleinere, wendigere und vielseitigere Gefährte, die noch in die letzten Winkel des Körpers vorstoßen. Die Vorteile sind klar: Während Pillen sich über den Magen im ganzen Körper verteilen und bei Injektionen nur ein Teil des Wirkstoffs am gewünschten Ziel angelangt, könnten Nano- und Mikroroboter direkt zu Tumoren vordringen oder mit Minibohrern Blutklumpen in Adern beseitigen.

Die winzigen Maschinen könnten Abwehrreaktionen hervorrufen

Um das zu bewerkstelligen, müssen die Roboter mit dem ungewohnten Mikrokosmos des Körpers zurechtkommen: "Wenn Sie in die Region der Mikro- und Nanometer absteigen, helfen klassische Vorstellungen von Robotern oder Künstlicher Intelligenz nicht viel weiter", sagt Bradley Nelson vom Institut für Robotik und Intelligente Systeme der ETH Zürich. Je kleiner ein Objekt ist, desto stärker hat es mit dem Widerstand einer Flüssigkeit zu kämpfen. Sie wird zäh wie Honig. Außerdem muss die Minimaschine mit Energie versorgt werden. Nennenswerte Akkus in dieser Größenskala gibt es aber nicht, genauso wenig wie Bordcomputer. Außerdem besteht die Gefahr, dass diese winzigen Maschinen das Immunsystem des Körpers alarmieren und Abwehrreaktionen hervorrufen.

Trotz dieser Hindernisse gibt es längst einen - oft bereits an Tieren getesteten - Fuhrpark an Maschinen, die diese Probleme erfolgreich umschiffen. Es sind allerdings keine smarten Roboter mit lernfähiger Software. Die Intelligenz sitzt vielmehr im Material. David Gracias an der Johns Hopkins University in Baltimore etwa hat kabellose, seesternförmige Mikrogreifer mit nur 500 Mikrometer im Durchmesser entwickelt. Die entlässt er zu Hunderten in den Verdauungstrakt. Dort löst sich ihr wasserlöslicher Kunststoffüberzug auf und setzt die Greifer frei, die dann ihre Finger automatisch nach innen biegen. Einige umschließen und lösen so Gewebe aus einem Darmtrakt. Nach einigen Stunden können die Greifer dann aus dem Stuhl des Patienten zurückgewonnen werden. Der Robotiker hat das System kürzlich in Schweinen getestet und festgestellt, dass rund ein Drittel von ihnen Gewebeproben einsammeln. Das wäre eine schonende Biopsie für Patienten, die aufgrund von Entzündungen keine Darmspiegelung vertragen.

Mit einem Magnetfeld ließen sich die Flagellen im Auge exakt steuern

So sehen viele Ansätze in der Mikrorobotik vor, dass die Maschinen einfach im Blutstrom treiben oder von der Magenperistaltik vorangetrieben werden. Doch haben Forscher mittlerweile auch neue Ideen. Mikroroboter können sich zum Beispiel auch bewegen, indem sie chemisch auf das Umfeld im Körper reagieren. So hat eine Forschergruppe um Joseph Wang von der University of California, San Diego, einen Mikromotor aus Zink entwickelt, der in Reaktion mit der Magensäure einen Strom von Wasserstoffbläschen erzeugt, der das Vehikel vorwärts treibt. In einem Experiment, über das die Forscher im Januar berichteten, konnten die Motoren erfolgreich Goldpartikel in den Magenwänden von Mäusen abladen. Nach getaner Arbeit lösten sie sich schlicht auf.

Andere Mikrorobotiker setzen auf Hilfe aus der Makrowelt: Sie nutzen Spulen, die Magnetfelder im Körper induzieren. So können sie von außen die winzigen Partikel lenken und mitunter sogar antreiben. Das ist eine Spezialität der Arbeitsgruppe um Bradley Nelson. Es erkannte die Vorteile der Geißeln, mit der sich Bakterien fortbewegen. Doch statt echter Mikroben bauten sie Flagellen nach - nur einen Millimeter lange Mikroroboter mit magnetischen Köpfchen. Mit Magnetfeldern steuern sie die rotierenden Minischwimmer. Erst im Januar veröffentlichte Nelson mit seiner Arbeitsgruppe eine neue Studie. Darin beschrieben sie, wie die künstlichen Flagellen ringförmige DNA-Moleküle in menschliche Nierenzellen transportieren und die Fracht in der Zelle aktivieren können.

Doch ob ein Gefährt, das nach schweren, außen angebrachten Magnetspulen verlangt, noch Mikroroboter genannt werden kann? Nelson gesteht, dass sich die Maschinen in absehbarer Zeit wohl kaum selbst steuern werden können. Und selbst mit externer Steuerung können die Mikroroboter vorerst keine großen Distanzen im Körper zurücklegen - mal abgesehen von jenen Robotern, die geschluckt werden und dann durch den Magen-Darm-Trakt wandern. Bisher müssen die Minimaschinen stets in der Nähe ihres Einsatzortes in den Körpers injiziert werden.

Google will ein Frühwarnsystem entwickeln, das vor Krebs und Herzattacken warnt

Doch Mikrorobotiker entwickeln immer wieder neue Konzepte. So experimentiert das Forschungslabor Google X Lab im kalifornischen Mountain View mit magnetischen Nanopartikeln. Diese schleusen sie in den Blutkreislauf, wo sie nach verdächtigen Zellen, Proteinen oder anderen Molekülen Ausschau halten und sich an sie haften. Als Paket wandern sie dann durch die Adern und werden - so der Plan - von einem mit Sensoren versehenen Armband registriert. Auf diesem Wege wollen die Google-Ingenieure ein Frühwarnsystem ermöglichen, das vor Krebs, Herzattacken oder anderen Krankheiten warnt. Die Forschung befindet sich freilich noch in einem sehr frühen Stadium.

Den ersten regulären Einsatz von Mikrorobotern im Menschen sagen Forscher wie Sitti oder Nelson für das kommende Jahrzehnt voraus. Auf dem Weg dahin sollen sich ihre Systeme zunehmend besser in die Innenwelt des Körpers einfügen. Am Ende werden deshalb keine geschrumpften U-Boote starten. Stattdessen werden hochspezialisierte Minimaschinen die Nischen im körperinternen Ökosystem besetzen, seien es Biohybridroboter, chemische Motoren oder wachsame Nanopartikel. "Es geht natürlich nicht anders", sagt Sitti. "Wir müssen uns dem Mikrokosmos anpassen, wenn wir etwas erreichen wollen."

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