Nahrungsergänzung als Gesundheitsrisiko:Überdosis Vitamin

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Vitaminpillen Tabletten neben Apfel und Orange (Foto: iStockphoto)

Vitamine sind lebenswichtig - und dienen in Tablettenform oft zur Beruhigung des schlechten Gewissens nach ungesunder Ernährung. Doch Vitaminpräparate sind nicht nur meist überflüssig, oft schaden sie sogar. Neuen Studien zufolge erkranken die Menschen häufiger an Krebs, die fleißig Pillen und Brausetabletten einnehmen.

Werner Bartens

Vitamintabletten sind so wohltuend! Eingenommen nach Pommes, Sahnetorte oder anderen vermeintlichen Diätsünden beruhigen sie das schlechte Gewissen sofort und erleichtern den inneren Ablasshandel. Kein Wunder, dass mehr als ein Drittel der Erwachsenen in wohlhabenden Ländern regelmäßig Vitamin- oder andere Ergänzungspräparate nimmt und damit einen Milliardenmarkt bedient. Nötig wäre das nicht, denn Menschen in Industrienationen sind mit Vitaminen längst überversorgt, sodass Ärzte schon Hypervitaminosen diagnostizieren - das Leiden an der Überdosis.

Vitamine aus der Dose sind nicht nur überflüssig, sie können sogar die Gesundheit angreifen. Gleich zwei neue große Studien zeigen, dass die Pillen und Brausetabletten mehr schaden als nutzen. Unter dem Titel "Weniger ist mehr" berichten Ärzte aus Europa und den USA am Dienstag im Fachblatt Archives of Internal Medicine von 40.000 älteren Frauen, deren Lebensgewohnheiten sie mehr als 20 Jahre lang unter die Lupe nahmen.

Von den Damen starben jene häufiger an Krebs und Herzkreislaufleiden, die regelmäßig Multivitaminpräparate oder Mineralstoffe zu sich genommen haben. An diesem Mittwoch zeigen Urologen im Journal of the American Medical Association, dass unter Männern, die regelmäßig Vitamin-E-Präparate nehmen, Prostatakrebs um 17 Prozent häufiger ist.

Der verbreitete Gebrauch von Nahrungsergänzungsmitteln ist medizinisch nicht zu rechtfertigen", sagt Jaakko Mursu von der Universität Ostfinnland, der die Studie mit den älteren Damen geleitet hat. "Nur bei Beschwerden durch Mangelzustände sind solche Präparate zu empfehlen." Urologe Eric Klein, der die Prostata-Studie geleitet hat, warnt ebenfalls vor den Mitteln: "Auch scheinbar harmlose Substanzen wie Vitaminzusätze können schaden. Verbraucher sollten skeptisch sein, wenn der Gesundheitsnutzen frei verkäuflicher Mittel angepriesen, aber nicht bewiesen wird."

Nicht alle Vitamine sind gleich

Vitamine in Obst, Gemüse, Getreide und Fleisch sind lebenswichtig. Der Körper kann Vitamine aber nicht herstellen, er muss sie zugeführt bekommen. Vitamine härten Knochen, stärken die Sehkraft, regulieren die Blutgerinnung, stimulieren Längen- wie Spermienwachstum. Ohne Vitamine liefe im Körper nichts. Diese Wirkungen entfalten aber nur jene Vitamine, die in pflanzlichen oder tierischen Produkten enthalten sind.

Warum das Original aus der Natur wirkt, Substanzen aus der Packung hingegen eher schaden, können Forscher nicht erklären. In einem Apfel sind ungefähr tausend Substanzen enthalten, viele noch unbekannt. Das Vitaminpräparat ist nur ein Stoff. Der Körper braucht offenbar das Zusammenspiel aller Stoffe.

Für eine ausgewogene Ernährung sind Brausetabletten kein Ersatz. Gesunden hat es in Studien nie genutzt, Vitaminzusätze zu nehmen - auch dann nicht, wenn sie sich nicht gesund ernährten. "Früher sollten Vitaminpräparate Mangelzustände ausgleichen, heute wird damit Wohlbefinden und Gesundheitsvorsorge versprochen", sagt Goran Bjelakovic von der Uni Kopenhagen, der 2007 und 2008 erstmals in großen Studien auf Schäden durch die Ergänzungsmittel hingewiesen hatte.

Doch sogar bei reiner Fastfood-Limo-Diät ist kein Vitaminmangel zu befürchten. Die Pulver werden vielen Speisen als Konservierungsmittel zugesetzt. Hinter den berüchtigten E-Nummern, beispielsweise auf Cola- oder Fanta-Flaschen, verbergen sich Vitamin E (E 307) und L-Ascorbinsäure (E 300) - besser bekannt als Vitamin C.

© SZ vom 12.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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