Mythos des Monats:Schadet Lesen im Dunkeln den Augen?

Auge

Immer mehr Menschen sind kurzsichtig - Mediziner raten zu mehr Tageslicht

(Foto: i.Stock)

Und sind Karotten wirklich gut für die Sehkraft? Ein Faktencheck.

Von Ali Vahid Roodsari

"Kind, lies nicht im Dunkeln, das verdirbt dir die Augen." Diese Warnung ist ein Klassiker der Eltern-Ermahnungen - und klingt zunächst sinnvoll. Schließlich brennen vielen Menschen nach der Lektüre im Dämmerlicht die Augen. Der Grund: Bei wenig Beleuchtung weiten sich die Pupillen, damit ausreichend Licht auf die Fotorezeptoren trifft. Das Auge muss sich mehr anstrengen und ermüdet schneller.

Das schmerzt zwar etwas, aber die Sehfähigkeit schränkt es nicht ein, erklärt Frank Holz, Direktor der Universitäts-Augenklinik Bonn: "Dass Lesen im Dunkeln den Augen schadet, ist in der Tat ein Mythos". Über Nacht beruhigen sich die Augen wieder. Für langanhaltende Schäden müsste ein Kind jeden Tag ein bis zwei Stunden bei wenig Licht lesen.

Immer mehr Kurzsichtige

Dennoch steckt in dem Mythos etwas Wahres: Wer viel sogenannte Naharbeit betreibt - dazu zählt Lesen - hat ein höheres Risiko, kurzsichtig zu werden: "Dass immer mehr Menschen kurzsichtig sind, steht außer Zweifel", sagt Holz. Tatsächlich haben laut der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) etwa 40 Prozent der Jugendlichen in Deutschland diese Fehlsichtigkeit. Eine Studie der Forscherin Katie M. Williams, erschienen im European Journal of Epidemiology, ergab, dass jeder dritte Europäer kurzsichtig ist. Bei 25- bis 29-Jährigen beträgt die Rate um die 47 Prozent, bei 65- bis 69-Jährigen dagegen nur etwa 16 Prozent.

Grund hierfür: Das Auge entwickelt sich in den ersten Lebensjahren und passt sich an das Sehverhalten an. Viel Naharbeit als Kind - ganz gleich ob an einem Buch, Smartphone oder Tablet - erhöht das Risiko einer Kurzsichtigkeit. Bei der Sehschwäche wächst der Augapfel in die Länge, so dass das Bild vor der Netzhaut entsteht statt darauf. Dadurch ist es in der Ferne verschwommen.

Ein anderer Grund für die aufkommende Kurzsichtigkeit ist der Mangel an Tageslicht, sagt Bettina von Livonius, leitende Ärztin an der Augenklinik der LMU München: "Deshalb sagt man, Kinder sollen bei guter Beleuchtung lesen", sagt Livonius. "Leseratten sollten mindestens drei Stunden täglich ans Tageslicht gehen."

Tageslicht hilft gegen Kurzsichtigkeit

Die Vermutung ist, dass der Botenstoff Dopamin das Augenwachstum bremst. Der Stoff wird bei viel Licht in der Netzhaut freigesetzt. Der Forscher Regan Ashby und Kollegen untersuchten die Auswirkungen von Tageslicht-Mangel an Hühnern. Dazu setzten sie den Tieren Streulinsen ein, wodurch die Augäpfel aller Hühner wuchsen. Dabei bekam eine Gruppe mehr Tageslicht als andere. Das Ergebnis: Tiere, die mehr Licht abbekammen, waren trotz Streulinsen weniger kurzsichtig.

Eine Untersuchung an sechsjährigen chinesischen Kindern zeigte, dass bereits 40 Minuten täglich im Freien während der Schulzeit reichen, um die Kurzsichtigkeitsrate innerhalb der kommenden drei Jahre zu senken. In China sitzen Kinder aufgrund des Lerndrucks bis zu 14 Stunden im Zimmer über ihren Büchern. Kurzsichtigkeit ist in dem Land besonders stark verbreitet. In einigen Regionen sind etwa 90 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen kurzsichtig.

Sind Karotten wirklich gut für die Augen?

Gegen Kurzsichtigkeit helfen für gewöhnlich eine Brille oder Kontaktlinsen. Wer beides nicht möchte, kann sich entweder die Augen lasern lassen oder Orthokeratologische Kontaktlinsen (Ortho-K-Linsen) nutzen. Diese bedecken über Nacht das Auge. Durch Druck verformen die Linsen die Hornhaut und die alte Sehstärke kann zurückkehren.

Wer diese Methode nutzt, muss aber besonders auf die Hygiene achten, um Entzündungen zu vermeiden. Zudem kostet ein Paar Linsen im Jahr etwa 600 Euro und die Behandlung ist nur vorübergehend: Wer die Linsen nicht mehr trägt, hat seine Fehlsichtigkeit nach kürzester Zeit wieder. "Deswegen muss der Einsatz bei jedem Patienten individuell abgewogen werden", sagt Holz.

Karotten sind gut fürs Auge - heilen sie aber nicht

Ein Mythos, der angeblich den Augen helfen soll, ist der häufige Verzehr von Karotten. Denn diese enthalten Vitamin A und Vitamine sind schließlich immer gut.

Tatsächlich kann ein Mangel an Vitamin A dem Auge langfristig schaden. Vor allem Kinder in der dritten Welt sind betroffen. Laut der Weltgesundheitsorganisation erblinden jährlich bis zu 500 000 Kinder aufgrund von Vitamin-A-Mangel. In Deutschland sei das aber unwahrscheinlich, sagt Holz: "Die normale Ernährung ist so reich an Vitamin A, dass eine zusätzliche Aufnahme durch beispielsweise Karotten oder Tabletten nichts bringt."

Im Schnitt braucht ein Mensch 0,6 Milligramm Vitamin A täglich. Alles darüber hinaus speichert der Körper. Studien haben gezeigt, dass mehr als 1,5 Milligramm Vitamin A über mehrere Jahre sogar schädlich sein können. Unter anderem ist im Alter das Risiko von Knochenbrüchen höher.

Augentraining und Rasterbrillen sind keine Lösung für Kurzsichtigkeit

Daneben schwören manche Menschen auf die Wunderkräfte eines Augentrainings. Der amerikanische Augenarzt William Bates entwickelte 1919 diese Methode. Dabei soll unter anderem das Palmieren helfen, also mit der Handfläche auf den Augen reiben. Tatsächlich entspannt es nach Bildschirmarbeit das Auge, die Sehkraft regeneriert sich aber nicht. Auch aussagekräftige Studien dazu fehlen.

Ebenfalls wirkungslos sind sogenannte Rasterbrillen. Die kleinen Löcher können die Schärfe des zentralen Sehens erhöhen, ähnlich wie eine Lochblende. Anbieter behaupten, dass Träger damit ihre Augen trainieren. Aber auch hier fehlt der wissenschaftliche Nachweis. "Man nutzt es mitunter für eine Sehschärfeprüfung", sagt Holz. "Aber im Alltag wäre es eine Behinderung."

Wem die Augen bei der Arbeit am Computer schmerzen, dem kann eine angepasste Computerbrille helfen. Ansonsten empfiehlt Livonius, immer wieder kurze Pausen einzulegen. Ein kurzer Blick weg vom Monitor und die Augen zu schließen ist ratsam. "Aber keine Raucherpause", sagt die Ärztin. Der Zigarettenrauch kann nämlich die Augen reizen. Zudem haben Studien gezeigt, dass Rauchen nicht nur Lungenkrebs fördert, sondern auch die altersbedingte Makuladegeneration, eine Erkrankung der Netzhaut.

Wie man einer Kurzsichtigkeit vorbeugt

Letztendlich gibt es keine Wundermethode, um Kurzsichtigkeit zu heilen. Kinder dürfen ruhig unter der Bettdecke lesen, solange sie genügend Tageslicht abbekommen und ausgewogen essen.

Zudem sollten Kinder schon ab zwei Jahren zum Augenarzt, um ihre Sehstärke untersuchen zu lassen, rät Livonius. Denn der "Lernvorgang" des Auges ist in den ersten Lebensjahren am intensivsten und dauert dann maximal bis zum zwölften Lebensjahr. Im Falle einer Sehschwäche sollten Kinder eine korrekt angepasste Brille tragen - auch wenn manche Menschen davon abraten. Sie behaupten, dass passende Gläser das Auge schwächen. Aber auch das gehört nur ins Reich der Mythen.

In der Serie "Mythos des Monats" beleuchtet die Wissensredaktion der SZ, was hinter erstaunlichen Meldungen aus Medizin, Biologie und Forschung steckt. Alle Folgen finden Sie hier.

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