Vor kurzem trommelten deutsche Urologen sehr wirksam für den Hodencheck. Und als das schiefe Grinsen über den Vorstoß erst einmal verschwunden war, klang das Ganze auch sehr vernünftig. Männer zwischen 14 und 45 Jahren sollen einmal monatlich die Hoden abtasten, um Anzeichen für Krebs - in erster Linie Schwellungen und Verhärtungen - rechtzeitig zu entdecken. Kann man etwas dagegen einwenden?
Das Expertengremium, das in den USA für Präventionsempfehlungen zuständig ist, tut dies ganz offiziell: Seit 2004 spricht sich die "Preventive Services Task Force" gegen den Selbstcheck aus: "Der Nutzen der Untersuchung ist gering bis inexistent". Auch die Ärztevereinigung Australiens hält den Check für überflüssig. Die Europäische Urologenvereinigung rät zwar nicht explizit ab, aber auch nicht ausdrücklich zu.
Die Argumente der Skeptiker: Hodenkrebs ist eine seltene Krebsform mit sehr guter Prognose. In Deutschland beispielsweise erkranken pro Jahr nur 4000 Männer. 95 Prozent werden geheilt. Ob sich die Rate durch landesweites Tasten erhöhen lässt, ist nicht bewiesen. Denn es ist fraglich, ob die Männer durch die Untersuchung tatsächlich sehr frühe Veränderungen finden, die sie in ihrem Alltag nicht festgestellt hätten.
Krebsvorsorge:Zu früh gespiegelt
Bei Patienten ab 55 Jahren kommen Krankenkassen für die Kosten einer Darmspiegelung auf. Krebsexperten schlagen vor, das Alter auf 50 abzusenken. Doch das hätte auch Nachteile.
Die Wissenschaftler der sehr streng arbeitenden Cochrane Collaboration fanden keine einzige hochwertige Studie zum Nutzen des Selbstchecks. Das ist nicht verwunderlich, denn solche Studien wären enorm aufwändig. Da dieser Krebs so selten ist, müssten Forscher etwa 2,5 Millionen Männer ein Jahr lang zum Hodencheck animieren, um unter ihnen auch nur 100 Krebsfälle zu entdecken, deren Verlauf sie dann untersuchen könnten. Hinzu müsste eine Kontrollgruppe kommen, die keine Selbstuntersuchung durchführt.
Zugleich verweisen die Kritiker der Untersuchung auf das Risiko häufiger Fehlalarme. Harte Stellen an den Hoden können harmlos sein. Sie könnten Männer aber verunsichern und zu unnötigen Untersuchungen, in erster Linie Ultraschall und Bluttests, führen.
Unter dem Strich stehen also auf der einen Seite ein unbewiesener, aber recht plausibler Nutzen, auf der anderen Seite ziemlich überschaubare Risiken. Was schwerer wiegt, ist letztlich eine Ermessensfrage. Es gibt auch Fachgesellschaften und Institutionen, die für die Hodenuntersuchung plädieren. So schließt sich auch das Deutsche Krebsforschungszentrum dem Aufruf der Urologen an und argumentiert, dass bei früher Erkennung die Therapie einfacher und die Prognose besser ist.
Was also tun? Männer sollten sich klar machen, dass nicht umgehend die tödliche Strafe droht, wenn sie nicht monatlich Zeit für den Hodencheck im Kalender blocken. Prinzipiell aber schadet es nicht, wenn Männer ihrem Körper mehr Aufmerksamkeit schenken. Dabei liegt das Problem womöglich weniger darin, dass sie Auffälligkeiten übersehen. Vielmehr, so schreibt es ein englischer Mediziner im British Medical Journal, scheinen Männer nur sehr zögerlich auf Symptome zu reagieren. Im Zweifelsfall schneller den Arzt aufzusuchen, ist daher auf jeden Fall ratsam.
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