Globale Müttersterblichkeit:Der Fortschritt stagniert

Globale Müttersterblichkeit: In einigen Ländern hat die Müttersterblichkeit in den vergangenen Jahren wieder zugenommen.

In einigen Ländern hat die Müttersterblichkeit in den vergangenen Jahren wieder zugenommen.

(Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Jahrzehntelang wurden Schwangerschaft und Geburt immer sicherer. Doch nun sind UN-Organisationen alarmiert: Es geht nicht mehr voran.

Von Berit Uhlmann

Alle zwei Minuten stirbt irgendwo auf der Welt eine Frau aufgrund von Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt. Etwa 287 000 Frauen waren es im Jahr 2020. Diese Schätzung, von der Weltgesundheitsorganisation WHO und anderen UN-Organisationen am Donnerstag vorgelegt, ist nicht nur eine Tragödie für jede einzelne betroffene Familie. Sie ist auch ein schmerzhafter Einschnitt in eine Erfolgsgeschichte. Denn gerade die Müttersterblichkeit war in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken - zwar nicht so schnell, wie Experten erhofft hatten, aber immerhin kontinuierlich. Insgesamt hatten sich die Sterberaten von 1990 bis 2015 fast halbiert.

Doch seit 2016 stagniert die Entwicklung. Weltweit verharrt der Wert bei jährlich etwa 233 Todesfällen pro 100 000 Geburten. In 17 Ländern nahm die Müttersterblichkeit sogar wieder zu. "Keine Mutter sollte um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie ein Baby zur Welt bringt", sagt Catherine Russell, Direktorin des Kinderhilfswerks Unicef. Das gelte umso mehr, da die meisten Komplikationen heute gut zu behandeln sind. Es ist prinzipiell vermeidbar, dass Frauen an einem Schwangerschaftsbluthochdruck sterben, während der Entbindung verbluten oder sich tödliche Infektionen bei der Niederkunft zuziehen. Dennoch geschieht dies in weiten Teilen der Erde noch immer häufig.

Die Weltgemeinschaft ist momentan weit von ihrem selbst gesteckten Ziel entfernt

Als Ursachen nennen die Autorinnen und Autoren des aktuellen UN-Berichtes zum einen die vielerorts unzureichend funktionierende Gesundheitsversorgung, die durch humanitäre und zunehmend auch klimabedingte Krisen zusätzlich belastet wird. In etlichen Regionen mangelt es zudem an medizinischer Ausrüstung, Medikamenten und Fachpersonal. So fehlten weltweit 900 000 Hebammen. Ein Drittel aller Frauen könne während der Phase der Schwangerschaft und des Wochenbetts nicht einmal vier Untersuchungen wahrnehmen.

Als weiteres Problem nennt der Bericht, dass 270 Millionen Frauen keinen Zugang zu moderner Familienplanung haben. Damit steigt das Risiko, dass auch Frauen schwanger werden, für die die Belastungen zu hoch sind, vor allem wenn es gleichzeitig an adäquater Betreuung fehlt. Auch Todesfälle durch fehlerhaft durchgeführte Abtreibungen werden zu den Ursachen der Müttersterblichkeit gezählt.

Mögliche Auswirkungen der Corona-Pandemie sind in dem bis zum Jahr 2020 reichenden Bericht noch nicht ausgewertet. Die Autorinnen und Autoren schließen aber nicht aus, dass die Pandemie sich als weiteres Hindernis für die Reduzierung der mütterlichen Todesfälle erweisen wird. Denn eine Infektion mit Sars-CoV-2 während der Schwangerschaft erhöht das Risiko der Mütter für Komplikationen.

Zum Teil spiegeln die aktuellen Befunde Entwicklungen wider, die man bei vielen Gesundheitsprogrammen beobachten kann. Sind die leicht zu erreichenden Erfolge erst einmal eingefahren, kann es zäh werden. "Es ist leichter die Müttersterblichkeit zu reduzieren, wenn das Niveau noch hoch ist, als wenn es bereits niedriger ist", heißt es in dem Bericht der UN-Organisationen.

Die neuen Daten zeigen auch, dass das globale Ziel zur Senkung der Müttersterblichkeit in Gefahr ist. Als Teil der sogenannten UN-Nachhaltigkeitsziele sollen von 2030 an jährlich weniger als 70 Frauen pro 100 000 Geburten sterben. Der aktuelle Wert liegt dreimal so hoch.

Dabei sind die Unterschiede zwischen den Ländern enorm. In Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland ist der globale Zielwert längst deutlich unterschritten. Für Deutschland beispielsweise weist die UN-Statistik drei Todesfälle pro 100 000 Geburten aus. Für die am stärksten betroffenen Länder Südsudan, Tschad und Nigeria dagegen werden die Todesfälle pro 100 000 Geburten auf mehr als 1000 geschätzt.

Natalia Kanem, Direktorin des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) mahnt angesichts dieser Befunde, man könne und müsse mehr tun, um jede schwangere Frau so zu unterstützen, wie sie es benötigt. "Wir haben die Mittel, das Wissen und die Ressourcen, um die vermeidbaren Todesfälle von Müttern zu beenden. Was wir jetzt brauchen, ist der politische Wille."

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