Süddeutsche Zeitung

Mittelmeerküche:Der Süden auf dem Teller

Wunderkur Mittelmeerküche? Kardiologe Helmut Gohlke über die Vorteile der mediterranen Ernährung, über südliche Geselligkeit und den Sinn von Rotweinkonsum.

Interview: Berit Uhlmann

Helmut Gohlke war lange Zeit Chefarzt in der Kardiologie des Herz-Zentrums Bad-Krozingen. Er engagiert sich in der Deutschen und der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie im Bereich Prävention und ist Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung.

Süddeutsche.de: Ist die Mittelmeerküche wirklich zu empfehlen?

Helmut Gohlke: In zahlreichen Studien ist belegt, dass sich die Mittelmeerküche positiv auf das Herz-Kreislauf-System auswirkt. Allerdings spreche ich nicht von der Pizza oder dem Steak mit drei Böhnchen daneben, sondern von der traditionellen mediterranen Ernährung: also viel Gemüse, Salat, Hülsenfrüchte, Obst und Vollkornprodukte. Außerdem möglichst oft Olivenöl statt Butter und Fisch statt rotem Fleisch.

Süddeutsche.de: Welches dieser Lebensmittel hat denn den größten Effekt?

Gohlke: Wissenschaftler haben versucht, einzelne Faktoren der Ernährungsweise statistisch herauszuarbeiten - sind aber nicht sehr weit gekommen. Man kann nicht sagen: "Es ist der Fisch oder das Olivenöl, die den Ausschlag geben". Es scheint das ganze Paket zu sein.

Süddeutsche.de: "Das ganze Paket" heißt aber für viele Deutsche auch, auf Gewohntes zu verzichten. Also beispielsweise Fleisch durch Gemüse zu ersetzen. Worauf beruht dann der Effekt: Auf dem Gemüse selbst, oder auf dem weggelassenen Fleisch?

Gohlke: Neuere Analysen zeigen, dass unverarbeitetes Fleisch, also beispielsweise ein Steak, für die Gesundheit weder positiv noch negativ zu sein scheint. Es ist neutral. Nur verarbeitetes Fleisch - wie das salzige Pökelfleisch oder viele Wurstsorten - hat einen negativen Effekt auf die Herzgesundheit. Dagegen haben Obst und Gemüse eine nachweislich günstige Wirkung.

Süddeutsche.de: Worauf beruht die Wirkung von Obst und Gemüse?

Vielleicht sind es die Ballasstoffe, die Polyphenole oder sogar auch die Vitamine. Hier besteht ebenfalls Unklarheit: Es scheint das gesamte Produkt zu sein, das sich positiv auswirkt, wenn man genug davon isst.

Süddeutsche.de: Essen die Deutschen immer noch nicht genug Gemüse?

Gohlke: Absolut nicht. Den neuesten Erhebungen zufolge verzehren die Deutschen pro Jahr 25 Kilogramm Gemüse. Das entspricht gerade mal 68 Gramm pro Tag. Empfohlen werden etwa 400 Gramm pro Tag. Da ist noch sehr viel Luft nach oben.

Süddeutsche.de: Der Reiz der mediterranen Küche resultiert für viele auch aus dem vermeintlichen Freispruch für Rotwein. Wie sieht es damit aus?

Gohlke: Menschen mit niedrigem Rotweinkonsum, also etwa einem Glas zum Abendessen, scheinen ein etwas geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu haben. Dennoch rate ich nicht zum vorbeugenden Weinkonsum. Jährlich sterben in Deutschland 40.000 Menschen an den Folgen des Alkoholkonsums. Hinzu kommen Gesundheitsschäden durch riskantes Trinken. Das alkoholbedingte Risiko ist viel größer einzuschätzen als der mögliche Nutzen für das Herz.

Süddeutsche.de: Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Mit dem mediterranen Lebensstil verbindet man auch ausgedehntes Beisammensein am Tisch, Geselligkeit, Entspannung. Trägt dies zum Effekt zur Herzgesundheit bei?

Gohlke: Möglicherweise haben auch diese psychischen Faktoren einen Anteil. So etwas ist schwer zu trennen. Dennoch hat man beobachtet, dass beispielsweise US-Amerikaner oder Mitteleuropäer, die mediterrane Kost zu sich nahmen ohne den gesamten Lebensstil zu kopieren, auch gesundheitlich profitierten. Das spricht dafür, dass die Ernährung selbst einen bedeutsamen Effekt hat.

Süddeutsche.de: Also esse ich einfach wie von Ihnen beschrieben, und erhöhe meine Chancen, gesund alt zu werden?

Gohlke: Das allein dürfte noch nicht ganz reichen. Das wichtigste für die Gesundheit ist, nicht zu rauchen. Dies steht ganz klar an erster Stelle. Erst danach kommen die gesunde Ernährung und - ebenso wichtig - ausreichende Bewegung. Bewegung ist die Anti-Aging-Maßnahme schlechthin. Dabei beschränkt sich die Wirkung nicht auf das Herz-Kreislaufsystem. Bewegung kann - ebenso wie die mediterrane Kost - das Krebsrisiko verringern und hat einen stimmungsaufhellenden Effekt.

Eine Sammlung von Rezepten zur Mittelmeerküche finden Sie auf den Seiten der Deutschen Herzstiftung oder in diesem von der Stiftung herausgegebenen Kochbuch.

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