Methadon-Streit:"Sie haben Lebenszeit zu verlieren, ganz einfach"

Methadon-Streit: Heroinabhängigen wird in der Suchttherapie oftmals Methadon oral als Lösung verabreicht. Ob das Mittel auch Krebspatienten helfen kann, dazu wissen Mediziner zu wenig.

Heroinabhängigen wird in der Suchttherapie oftmals Methadon oral als Lösung verabreicht. Ob das Mittel auch Krebspatienten helfen kann, dazu wissen Mediziner zu wenig.

(Foto: AP)

Methadon gilt vielen Krebspatienten plötzlich als letzte Hoffnung. Warum aber warnen Onkologen vehement? Fragen an Jutta Hübner, Professorin an der Uniklinik Jena.

Interview von Felix Hütten

Das Schmerzmittel Methadon soll die Wirkung der Chemotherapie von Krebspatienten unterstützen; und zwar so sehr, dass eigentlich todgeweihte Patienten wieder eine Chance auf Heilung haben. Diese und ähnliche Geschichten geistern seit Wochen durch die Medien. Ursprung dieser vermeintlichen Erfolgsnachrichten sind Ergebnisse aus Laborstudien der Ulmer Chemikerin Claudia Friesen. Unter Patienten ist ein regelrechter Hype um das Medikament entstanden. Führende Krebsmediziner hingegen warnen, denn bislang ist die Wirksamkeit mit klinischen Studien nicht belegt. Eine Expertengruppe um die Jenaer Onkologin Jutta Hübner hat nun im Deutschen Ärzteblatt Patientenfälle mit schweren Komplikationen vorgestellt. Die Ärzte rufen deshalb zur Besonnenheit im Fall Methadon auf.

SZ: Trotz aller Gegenstimmen im Fall Methadon: Was ist eigentlich falsch daran, als Krebspatient Hoffnung in eine neue Therapie zu setzen?

Jutta Hübner: Das ist selbstverständlich überhaupt nicht falsch, sondern eine nachvollziehbare Reaktion. Aber genau deshalb müssen wir als Ärzte Chancen und Risiken einer neuen Therapie sehr genau abwägen. Im Fall von Methadon muss ich nach den bislang vorliegenden Daten davon ausgehen, dass die Risiken die Chancen bei Weitem überwiegen. Also: Das Medikament ist für Patienten, auch für jene mit weit fortgeschrittenem Krebs, keine gute Empfehlung.

Welche Risiken meinen Sie genau?

Ich warne vor zwei grundlegenden Problemen. Erstens braucht es Erfahrung mit dem Medikament, denn es hat viele Nebenwirkungen. In niedrigen Dosierungen sind das etwa Verstopfungen, in hohen Dosierungen geht das bis zum tödlichen Atemstillstand. Zweitens aber kann es zu Wechselwirkungen mit Tumormedikamenten kommen, die kaum zu kontrollieren sind. Methadon könnte die Nebenwirkungen dieser Medikamente verstärken oder aber auch ihre eigentliche Wirkung abschwächen.

Was heißt "könnte"? Im Unterschied zu Krebsmedikamenten, die noch erforscht werden, handelt es sich bei Methadon um ein Präparat, das seit vielen Jahren in der Medizin eingesetzt wird.

Bekannt ist die Wirkung bislang aber nur in der Suchttherapie und in der Palliativmedizin. In Kombination mit Tumormedikamenten haben Patienten Methadon noch nicht bekommen. In diesem Anwendungsbereich haben wir also kein Wissen.

Viele Chemotherapien aber scheitern ebenso, Patienten leiden unter Nebenwirkungen. Als schwerkranker Patient könnte ich die Risiken also in Kauf nehmen und es einfach wagen. Was habe ich schon zu verlieren?

Sie haben Lebenszeit zu verlieren, ganz einfach. In den bislang vorliegenden Daten zu dem Thema gibt es Hinweise, dass Methadon bei weit fortgeschrittenem Krebs im Vergleich zu anderen Opiaten sogar zu einem kürzeren Überleben führt. Das sollten wir ernst nehmen. Uns sprechen übrigens viele Patienten auf Methadon an, die eben nicht kurz vor dem Tod stehen. Grundsätzlich ist jeder Tag für Patienten wichtig und wertvoll - keiner sollte verloren gehen.

Viele Tumorpatienten aber bekommen ohnehin schon Schmerzmedikamente, meist Morphin. Was also spricht dagegen, diese Patienten auf Methadon umzustellen?

Im Falle der gängigen Schmerzmittel, vor allem bei Morphin, kennen wir uns sehr gut mit möglichen Nebenwirkungen aus, wir haben hier viel Erfahrung. Diese Schmerzmittel können wir in der Kombination mit einer Chemotherapie und anderen Krebsmedikamenten also besser steuern und sehen deutlich geringere Risiken und unerwünschte Wechselwirkungen.

Dennoch gibt es Berichte von Krebspatienten, denen das Medikament deutlich geholfen haben soll.

Es ist allerdings unklar, ob es wirklich Methadon ist, das ihnen hilft - oder etwas anderes. Außerdem stehen diesen Beispielen Patienten gegenüber, die lebensbedrohliche Nebenwirkungen durch Methadon erlitten haben; ein Patient ist sogar gestorben. Um ein besseres Bild darüber zu bekommen, was im Moment in Deutschland passiert, hat die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie ihre Mitglieder um weitere Fallberichte gebeten. Die ersten Auswertungen zeigen, dass es sehr viel mehr Negativbeispiele gibt, als bislang bekannt sind.

Blockiert die Pharmabranche die Forschung an Methadon?

Sie werfen den Befürwortern von Methadon vor, mit Einzelfällen zu argumentieren - und sammeln jetzt ebenfalls solche Geschichten. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nein, denn Einzelfälle können immer ein Hinweis auf eine Gefahr sein. Im Fall Contergan beispielsweise waren es ebenfalls Einzelfälle, die Ärzte überhaupt erst dazu veranlasst haben, das Medikament auf mögliche Risiken für Kinder im Mutterleib zu prüfen. Diese Warnsignale also sind ein wichtiges Element, wenn es darum geht, ein neues Medikament einzusetzen. Sie sind aber sicher kein Beweis für eine Wirksamkeit.

Beobachtungen an mehreren Patienten wiederum könnten wichtige Hinweise liefern.

Wenn sie denn gut gemacht sind. Solche Fallserien aber gibt es aber bisher für Methadon in der Krebstherapie nicht. Ich biete aber hiermit jedem Arzt an, der meint, Erfolge mit Methadon bei seinen Patienten zu beobachten, dass wir diese Fälle wissenschaftlich unabhängig untersuchen und die Ergebnisse auch publizieren.

Kann dieses Angebot den Streit schlichten? In Ihrem Artikel haben Sie den Fall Methadon als ein Phänomen mit hohem Schadenspotenzial bezeichnet, das die Medizin fortan begleiten wird.

Der Fall Methadon ist tatsächlich neu in der Medizin, er zeigt auch die Macht der Medien: Ohne Vorwarnung wurde durch Fernsehsendungen ein hoher Druck auf Ärzte aufgebaut. Deutschlandweit fordern Patienten nun, dass Methadon bitte eingesetzt werden soll. Viele Ärzte stehen vor einem Dilemma: Wenn sie kein Rezept ausstellen, wird ihnen vorgeworfen, sie würden ihren Patienten eine lebenswichtige Therapie verweigern. Stellen sie eins aus, verstärkt das den Eindruck, dass doch etwas dran sein muss.

Ohne den öffentlichen Druck aber würden die Ideen noch heute in der Schublade versauern.

Das sehe ich anders. Ich bin mir sicher, dass Claudia Friesen, die zu dem Thema forscht, eine weitere Förderung von der Deutschen Krebshilfe für eine Studie bekommen hätte. Das hat die Krebshilfe in einer Stellungnahme auch noch mal klargemacht. Allerdings war der Antrag, den sie gestellt hatte, methodisch unzureichend. Sie hat dann offensichtlich nicht den wissenschaftlich richtigen Weg eingeschlagen, ihn zu verbessern - sondern sich an die Öffentlichkeit gewandt.

Führende Krebsmediziner halten eine solche weitere Forschung ohnehin für wenig erfolgversprechend. Die fachlichen Bedenken sind weiterhin groß - und deshalb auch der Ärger vieler Patienten. Sie pochen auf ihr Recht, dass Wissenschaftler in ihrem Sinne forschen und die Sache nicht einfach abbügeln.

Patienten haben selbstverständlich ein Recht auf Forschung, aber die Teilnehmer einer Studie haben das Recht, dass wir aussichtsreiche Sachen an ihnen testen - sonst würden wir sie ja bewusst benachteiligen. Und weil solche Studien aus öffentlichen Geldern und Spenden finanziert werden, müssen wir mit der Entscheidung, welche Studien gefördert werden, auch verantwortungsbewusst umgehen.

Genau dieses Verantwortungsbewusstsein aber stellen viele Menschen derzeit infrage. Es steht der Vorwurf im Raum, die Pharmaindustrie unterdrücke Forschung, um das günstige Methadon aus dem Verkehr zu ziehen. Und immerhin erhalten einige der lautesten Kritiker Honorare von Pharmafirmen.

Ich halte diesen Vorwurf für unsinnig. Fast alle innovativen Medikamente wurden und werden von der Pharmaindustrie entwickelt. Und Experten in einem bestimmten Fach, insbesondere wenn sie große Kliniken und Zentren leiten, sind dann zwangsläufig an solchen Studien beteiligt - sonst könnten wir unseren Patienten diese neuen Medikamente ja gar nicht zur Verfügung stellen. Bei Studien und Medikamentenzulassungen greifen unabhängige Gremien wie beispielsweise das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Ich glaube daher, dass es bei diesen Vorwürfen ohnehin um etwas anderes geht.

Nämlich um was?

In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, dass Millionen in die Forschung neuer Medikamente investiert werden, nicht aber in die Versorgung normaler Bürger. Der Patient als Mensch ist in unserem durchökonomisierten Gesundheitssystem tatsächlich auf der Strecke geblieben, wir leben in einer Zeit der 3,5-Minuten-Medizin. Das ist der Grund, warum wir auch in anderen Bereichen der Medizin immer mehr Alternativangebote sehen, Stichwort Homöopathie und Heilpraktiker. Der Heilpraktiker kann sich eine Stunde Zeit nehmen und hierfür auch Geld verlangen. Hier gehört eigentlich der Aufschrei hin, hier müssen wir dringend etwas ändern. Der Fall Methadon ist ein Sturm an der falschen Stelle.

Anmerkung: In einer ersten Version des Interviews war zu lesen, dass Heilpraktiker ihre Arbeitszeit abrechnen können. Diese Formulierung war missverständlich, da sie eine Krankenkassenleistung suggeriert - was nicht pauschal der Fall ist.

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