Süddeutsche Zeitung

Mers-Virus:Gefahr aus dem Orient

Ein neuer, gefährlicher Krankheitserreger aus dem Nahen Osten bereitet Medizinern in aller Welt Sorgen. Das Virus mit dem Namen Mers ist nun auch in Europa und den USA aufgetaucht. Forscher befürchten eine tödliche Epidemie.

Von Katrin Blawat

Handelte es sich um einen Menschen, würde man von einem geduldigen Zeitgenossen sprechen. Von einem, der weiß, dass man sich manchmal zu Anfang besser unauffällig verhält. Irgendwann wird schon der Zeitpunkt kommen, an dem die Lage günstig ist, um sich in voller Kraft zu präsentieren.

Auch wenn es in diesem Fall statt um einen Menschen um ein Virus geht, ist unverkennbar: Dieser Zeitpunkt ist jetzt. Seit wenigen Wochen schnellt die Zahl der Infektionen mit dem sogenannten Mers-Virus nach oben. So meldet die europäische Seuchenbehörde ECDC für den April mindestens 217 Fälle. Verglichen mit anderen Infektionskrankheiten klingt das zwar nicht nach viel. Doch erkrankten damit binnen nur eines Monats mehr Menschen an Mers als in den gesamten zwei Jahren zuvor.

Das allein wäre schon beunruhigend. Doch hinzu kommt: Mit der Zahl der Infizierten steigt auch die Zahl der betroffenen Länder. In 16 Staaten wurde das Mers-Virus inzwischen gefunden - darunter auch in fünf europäischen. Großbritannien meldete vier Fälle, Deutschland und Frankreich je zwei, Italien und Griechenland je einen. Zuletzt meldeten die USA ihren ersten Mers-Patienten. Er war gerade aus Saudi-Arabien zurückgekehrt.

Mers steht für "Middle East Respiratory Syndrom"

Ist das erst der Anfang? Rüstet sich der Mers-Erreger gerade, um weltweit im großen Stil Menschen schwer krank werden zu lassen und gar zu töten? Mindestens 131 der mehr als 420 vom ECDC gemeldeten Patienten sind gestorben. So weckt die Entwicklung der vergangenen Wochen Angst vor einer neuen, weltweiten und in vielen Fällen tödlichen Seuche. In ihrer jüngsten Risikoeinschätzung äußert die Weltgesundheitsorganisation WHO keine Hoffnung, dass sich das Virus bald zurückziehen könnte. Im Gegenteil, sowohl im Nahen Osten als auch in anderen Regionen sei mit weiterer Verbreitung zu rechnen.

Was ist das für ein Virus? Mers steht für "Middle East Respiratory Syndrom", und das verrät schon ziemlich viel über den Erreger: Er kursiert überwiegend im Nahen Osten. Vor allem Saudi-Arabien ist betroffen, 80 Prozent aller gemeldeten Fälle sind dort aufgetreten. Und wenn jemand in einem anderen Erdteil erkrankt ist, etwa in Europa, hatte er sich meist auf der Arabischen Halbinsel infiziert. Das gilt auch für die beiden Patienten, die in Deutschland behandelt wurden.

Mers gehört zu den Coronaviren. Einige davon verursachen nur Schnupfen, andere sind tödlich

Das Virus kann unter anderem schwere Lungenentzündungen und Nierenversagen hervorrufen. Eindeutig identifiziert wurde es erst vor eineinhalb Jahren, auch wenn inzwischen klar ist, dass mindestens schon im Frühjahr 2012 Menschen an dem Erreger erkrankt waren.

Unter den Viren hat Mers harmlose Verwandte - ebenso aber auch solche, deren Namen noch heute schaudern lässt. Mers gehört zu den sogenannten Coronaviren. Viele dieser Erreger verursachen allenfalls einen Schnupfen. Doch zu den Coronaviren zählt auch Sars - jener Erreger, der vor gut zehn Jahren etwa 8000 Menschen infizierte und jeden zehnten von ihnen tötete.

Die Erinnerung an den Sars-Ausbruch, der vor allem China zu schaffen machte, steigert die Sorgen wegen Mers noch. Zwar hilft es Forschern, wenn sie die Verwandtschaftsverhältnisse eines Erregers kennen. Doch gibt es bisher weder eine Therapie für das Mers-Virus noch eine Impfung - oder auch nur sichere Erkenntnisse darüber, wie der Erreger übertragen wird.

Analysen zufolge kursiert Mers schon seit mehr als 20 Jahren

Dabei ist gerade diese Frage einer der Knackpunkte, will man die Epidemie eindämmen. Inzwischen ist immerhin so viel klar: Bei der Verbreitung von Mers spielen Kamele eine wichtige Rolle. "Sie sind mit Sicherheit eine Quelle für die Infektionen", sagt Virenforscher Thomas Briese von der Columbia University in New York.

Zusammen mit Kollegen hat er kürzlich bestätigt, was auch schon andere Studien ergeben hatten: Viele Dromedare auf der Arabischen Halbinsel sind oder waren einmal mit dem gleichen Virus infiziert, an dem inzwischen auch Menschen erkranken. Die Tiere scheiden die Erreger aus, zeigen selbst aber meist keine Symptome.

Vermutlich können sich Menschen anstecken, indem sie etwa mit dem Nasensekret der Tiere in Berührung kommen oder Kamelmilch trinken. Beides ist nichts Außergewöhnliches in der arabischen Welt, wo Kamele übliche Haustiere sind. Unklar bleibt aber weiter, wie und wann das Virus in die Dromedare gelangt ist. Einigen Analysen des Virenerbguts zufolge kursiert Mers womöglich schon seit mehr als 20 Jahren in den Tieren. Warum aber hat es gerade jetzt den Sprung zum Menschen geschafft?

Sicher ist inzwischen: Kamele sind eine der wichtigsten Quellen für die Infektionen

Und selbst wenn nun die Mehrzahl der Menschen im Nahen Osten dem Aufruf folgt, keine Kamelmilch mehr zu trinken und generell mehr Abstand zu den Tieren zu halten, wird das den Erreger nicht gänzlich aufhalten können. Zum einen sind Dromedare womöglich nicht die einzige Virenquelle. Auch Fledermäuse zum Beispiel könnten Mers übertragen.

Zudem kann sich das Virus auch von Mensch zu Mensch verbreiten, wie gerade die vergangenen Wochen gezeigt haben. In drei Vierteln der jüngst gemeldeten Fälle hätten sich die Patienten bei einem anderen Menschen angesteckt, berichtet die WHO. Möglicherweise können auch gesunde Menschen infektiös sein, die den Erreger unbemerkt in sich tragen. Niemand weiß, wie hoch der Anteil dieser versteckten Infektionen ist.

Warum gerade jetzt?

Ebenso unbeantwortet bleibt bislang die Frage: warum gerade jetzt? Was ist passiert, das dem Virus mit einem Mal ein derart leichtes Spiel ermöglicht? Hat sich Mers vielleicht besser an seinen menschlichen Wirt angepasst? Ein naheliegender Gedanke, schließlich sind Viren Meister in solchen Adaptionen.

Doch Untersuchungen eines Teams um den Bonner Virologen Christian Drosten sprechen gegen dieses Szenario. Die Forscher hatten Mers-Proben von Patienten, die im April erkrankt waren, mit solchen von älteren Fällen verglichen - und fanden keine bedeutsamen Unterschiede im Erbgut der Erreger.

"Trotzdem können solche Mutationen natürlich irgendwann auftreten", sagt der Infektionsexperte Briese. Daher sei es doppelt wichtig, menschliche Mers-Infektionen zu vermeiden. Nicht nur, um den Betroffenen Leid zu ersparen, sondern auch, um dem Virus möglichst wenig Gelegenheit zu geben, sich an den Menschen als Wirt anzupassen.

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SZ vom 05.05.2014/sks
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