Süddeutsche Zeitung

Menschliches Schlafbedürfnis:Schlaf speichern wie ein Kamel?

Auf ihren Schlaf angesprochen, attestierte sich Bundeskanzlerin Merkel einst "gewisse kamelartige Eigenschaften". Doch vermag der Mensch Schlaf zu speichern wie ein Trampeltier Flüssigkeit? Kann man tatsächlich vorschlafen?

Von Sebastian Herrmann

Was wäre die Schlafforschung ohne die Zoologie? Die Wissenschaft von der Bettruhe bliebe ohne Tiere öde wie eine durchwachte Nacht. Zum einen verrichten Forscher wertvolle Grundlagenarbeit am Tiermodell und untersuchen den Schlafrhythmus der Fruchtfliege oder die Chronobiologie des Goldhamsters. Zum anderen wimmeln Schriften über den Schlummer nur so vor Verweisen auf das Tierreich.

Menschen schlafen wie Murmeltiere oder schleppen sich hundemüde durch den Tag. Frühaufsteher werden Lerchen, Langschläfer Eulen genannt. Schlaflose zählen Schafe. Und die Moderatorin Sabine Christiansen empfahl den Deutschen einmal, weniger zu schlafen - eine Kuh käme ja auch mit drei bis vier Stunden aus.

Die Bundeskanzlerin hat der Liste der Schlafzimmertiere in einem Gespräch mit der Brigitte vor einigen Jahren eine Spezies hinzugefügt, die bislang keinen Platz im Reich der Nachtruhe hatte: Angela Merkel attestierte sich "gewisse kamelartige Eigenschaften", sie könne Schlaf tanken.

Natürlich spielt Merkel damit auf die sagenhafte Fähigkeit der Kamele an, Wasser zu speichern. Doch vermag der Mensch Schlaf zu speichern wie ein Trampeltier Flüssigkeit? "Vorzuschlafen ist nur in sehr geringem Umfang möglich", sagt der Schlafforscher Werner Cassel vom Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Etwa eine Stunde ließe sich im Voraus tanken, mehr aber nicht.

"Wenn sie sich früher hinlegen, können die meisten Menschen nicht einschlafen, weil sie ihren Rhythmus gewohnt sind", sagt der Psychologe. Morgens ein, zwei Stunden dranzuhängen, sei schlaftechnisch kein Problem - aber das lässt weder der Terminkalender einer Kanzlerin noch der Arbeitsalltag eines Büromenschen zu.

Wie sammelt der Deutsche dann die etwa sieben Stunden pro Nacht, die der Schlafforscher Jürgen Zulley als durchschnittliches Bedürfnis benennt? Schlaf lässt sich gut nachholen. "Eine Nacht durchzuwachen und am nächsten Tag dennoch konzentriert zu arbeiten, ist für die meisten Menschen kein Problem", sagt Cassel, "zumindest wenn der Tag fordernde und abwechslungsreiche Aufgaben bereithält, wie das bei Angela Merkel wahrscheinlich der Fall ist." Den entgangenen Schlummer holt der Körper in der folgenden Nacht nach. "Dann reichen jedoch eineinhalb bis drei Stunden extra", sagt Cassel.

Gene bestimmen den Schlaf

Über die Erholsamkeit des Schlafes entscheide nämlich nicht die reine Dauer, sagt Zulley, sondern die Qualität des Schlafes - und bei Übermüdung steigt die Dauer der anschließenden Tiefschlafphasen. Wie viel Schlaf ein Mensch benötigt, bestimmen unter anderem die Gene. Auch die Neigung zum Frühaufsteher oder Langschläfer hat erbliche Grundlagen. Trotzdem lässt sich das Schlafverhalten trainieren - wer chronisch wenig schläft, gewöhnt sich daran. "Die Bundeskanzlerin ist wahrscheinlich ein trainierter Kurzschläfer", mutmaßt Cassel.

Aber wie schlafen eigentlich Kamele? Die Angaben sind widersprüchlich. Sie ruhen liegend, die Beine überkreuz und das für etwa vier Stunden pro Nacht. Beim Tierpark Hagenbeck in Hamburg lassen sie aber wissen, dass die Kamele morgens oft noch schlafen, wenn die Pfleger zu ihnen kommen. Manchmal ließen sich die verpennten Tiere dann nur schwer in die Gänge kriegen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1665158
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.05.2013/rela
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.