Medizinisches Cannabis:Begehrte Blüten

Seit einem Jahr gibt es Cannabis auf Kassenrezept. Die Nachfrage ist größer als erwartet. In der Praxis stoßen Ärzte, Apotheker und Patienten aber immer noch auf Probleme.

Von Jasmin Siebert

Cannabiskonsum als Schmerztherapie

Getrocknete Cannabisblüten: Für die einen ist es eine illegale Droge, für die anderen eine hochwirksame Medizin.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Mehr als 30 Jahre kümmert sich Knud Gastmeier schon um sterbenskranke Menschen. Im vergangenen Jahr hat sich für den Facharzt für Schmerztherapie und Palliativversorgung aus Potsdam einiges verändert: Seit dem 10. März 2017 dürfen Ärzte in Deutschland Cannabis per Kassenrezept verordnen. 65 Patienten hat Gastmeier Cannabisblüten, cannabishaltige Öle oder Sprays verordnet. Die Pflanze sollte zu einem normalen, verschreibungsfähigen und erstattungsfähigen Medikament werden. Doch von Normalität ist Cannabis als Medizin weit entfernt.

Das zeigt sich etwa bei der Nachfrage: Noch immer kommt es zu Lieferengpässen in Apotheken. Der Bedarf wurde massiv unterschätzt. Mehr als 16 000 Anträge auf Kostenübernahme gingen bisher bei den großen gesetzlichen Kassen ein, mehr als 60 Prozent wurden genehmigt. Dazu kommen Patienten, die Cannabis über ein Privatrezept beziehen und selbst bezahlen. Deren Zahl ist nirgends erfasst. Zuvor durften nur etwa 1000 Patienten mit einer Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle legal Cannabis einnehmen.

Es besteht immer noch kein Konsens darüber, ob Gras als Medizin wirklich sinnvoll ist

Auch besteht ein Jahr nach der Gesetzesänderung immer noch kein Konsens darüber, ob Cannabis als Medizin wirklich sinnvoll ist. Das Bundesgesundheitsministerium deutet die hohen Verordnungszahlen als positive Wirkung des Gesetzes. Jedoch solle es eine "Ausnahmeregelung" bleiben, da nicht der hohe Wirkungsnachweis vorliege wie bei Fertigarzneien.

Die Krankenkassen beklagen, dass Patienten zu große Erwartungen hegen. "Für einen breiten Einsatz fehlen nach wie vor Belege zur Wirksamkeit und Sicherheit", sagt eine Sprecherin der AOK. Viele Anträge auf Kostenübernahme bezögen sich eher auf "banale Diagnosen".

Weil im Gesetzestext nur schwammig von "schwerwiegenden Erkrankungen" die Rede ist, verschreiben Ärzte Cannabisblüten und cannabishaltige Öle oder Sprays bei Diagnosen wie Krebs, chronischen Schmerzen, aber auch bei Darmproblemen und psychischen Erkrankungen.

Knud Gastmeier, der Schmerzmediziner aus Potsdam, hat aber noch mit einem ganz anderen Problem zu kämpfen: Gras in deutschen Apotheken ist teuer. Inzwischen ist sein Praxisbudget weit überschritten und er muss mit hohen Schadensersatzforderungen der Krankenkassen rechnen. Einem krebskranken Patienten verordnet Gastmeier meist drei Gramm Cannabisblüten am Tag. Bei etwa 25 Euro pro Gramm sind das 27 000 Euro im Jahr. Sein Jahresbudget würde gerade einmal für fünf Patienten ausreichen. Doch weil er es für wirksam und besser verträglich als Opiate hält, verschreibt er es weiter. Gastmeier fordert, dass das Gesetz Ärzte besser schützen müsse. Denn nach wie vor scheuen viele seiner Kollegen davor zurück, Cannabis zu verschreiben. Auch wegen der unzureichenden Studienlage, der Bürokratie sowie der Angst, als "Drogenarzt" in Verruf zu geraten.

Doch nicht nur Ärzte und Apotheker stoßen auf Schwierigkeiten, auch Patienten haben immer noch Probleme mit der neuen Medizin - etwa im Straßenverkehr. Prinzipiell dürfen sie Auto fahren, auch wenn sie Cannabis konsumiert haben. Im Straßenverkehrsgesetz heißt es, dass eine berauschende Substanz im Blut keine Ordnungswidrigkeit ist, wenn sie aus der "Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt". Jedoch macht das Bundesverkehrsministerium darauf aufmerksam, dass diese Ausnahmeklausel nicht gelte, wenn die Einnahme nicht ordnungsgemäß sei oder das Fahrzeug nicht sicher geführt werde.

Franz Wolf aus München, der medizinisches Cannabis wegen chronischer Schmerzen und einer posttraumatischen Belastungsstörung nimmt, wurde im vergangenen Jahr sechs Mal aus dem Verkehr gezogen. Sein Wagen wurde durchsucht, seine Medizin beschlagnahmt und inzwischen hat er seinen Führerschein verloren. Beim Verkehrsgerichtstag im Januar vertraten Experten die Ansicht, dass Cannabispatienten auf ihre Fahrtauglichkeit überprüft werden sollten. Auch Franz Wolf müsste sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterziehen. Doch dort, fürchtet er, würden Gutachter Cannabis nur als Droge kennen. Da er auf sein Auto angewiesen ist, kämpft er für ein Merkmal im Führerschein, das den Fahrer als Cannabispatienten ausweist.

Die Grünen fordern, den Grenzwert von THC im Blut zu erhöhen. Doch auch das würde den Patienten nicht helfen, sagt Franjo Grotenhermen. Der Arzt kämpft seit Langem für die Rechte von Cannabispatienten. Viele hätten deutlich höhere Werte und könnten dennoch sicher Autofahren. Bei anderen Medikamenten, auch bei starken Opiaten, dürften sie selbst einschätzen, ob sie fahren können oder nicht.

Statt am Drogenstigma festzuhalten, solle das Gesetz sachlich Risiko und Nutzen abwägen, fordert Grotenhermen. Er spricht vom "Menschenrecht auf die bestmögliche medizinische Therapie". Denn während Opiate auf Dauer die Organe schädigen, gebe es diese Wirkung bei Cannabis nicht. Dennoch betont er, dass Gras zwar ein breites Wirkungsspektrum habe, aber kein Allheilmittel sei. Wie auch andere Ärzte, die sich mit medizinischem Cannabis befassen, ist er kein Befürworter einer generellen Legalisierung. Stattdessen sollte mehr in die Forschung investiert werden. Denn nur so ließe sich herausfinden, bei welchen Krankheitsbildern die neue Medizin wirklich sinnvoll ist.

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