Medizin:Wissenschaftler halten 1300 Kliniken für überflüssig

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Schluss, aus, vorbei: Kliniken ohne moderne Geräte sollen nach Ansicht des Expertengremiums schließen. (Foto: dpa)
  • Von den mehr als 1600 allgemeinen Krankenhäusern in Deutschland könne der Großteil weg, sagt die Nationale Akademie der Wissenschaften.
  • Deutsche Kliniken arbeiteten weder wirtschaftlich noch im Sinne der Patientengesundheit, schreiben die Wissenschaftler.
  • Kern des Problems sei die strukturelle Verdünnung medizinischer Kompetenz durch zu viele Einrichtungen.

Von Kathrin Zinkant, Berlin

In der Debatte über den Strukturwandel im deutschen Gesundheitswesen hat sich die Nationale Akademie der Wissenschaften zu Wort gemeldet: In einem umfassenden Thesenpapier beschreiben sechs Medizin- und Public Health-Experten, was mit Blick auf eine gute und zugleich wirtschaftliche Versorgung von Patienten für eine baldige Genesung der Krankenhauslandschaft vonnöten wäre.

Und obwohl die Autoren um den Stiftungsratvorsitzenden der Berliner Charité, Detlev Ganten, dazu acht Thesen ausführen, lässt sich ihre Botschaft knapp so zusammenfassen: Von den mehr als 1600 allgemeinen Krankenhäusern in Deutschland kann der Großteil weg. Eine bessere, effizientere Versorgung ließe sich mit bundesweit nur 330 Klinikzentren umsetzen. Kleine Häuser ohne moderne medizinische Ausstattung gehören geschlossen.

Jedem vierten allgemeinen Krankenhaus fehlt demnach ein Computertomograf

Es ist ein radikaler, wenn auch nicht völlig neuer Vorschlag, den die Vertreter der deutschen Wissenschaft hier machen. Unter dem Stichwort "Bettenabbau" soll eine verringerte Aufnahmekapazität seit den 1990er-Jahren Geld-, Personal- und Qualitätsprobleme der Kliniken zumindest anteilig lösen. Tatsächlich ist die Zahl der Klinikbetten seit 1991 um ein Viertel gesunken. Die Zahl der Einrichtungen hat um ein Fünftel abgenommen. Trotzdem arbeiten deutsche Kliniken weder wirtschaftlich noch im Sinne der Patientengesundheit, schreiben die Wissenschaftler. So seien 8,7 Prozent der über 45-Jährigen, die 2013 mit einem Herzinfarkt in ein deutsches Krankenhaus eingeliefert wurden, auf der Station verstorben - mehr als doppelt so viele wie in Schweden oder Australien.

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SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt

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SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt

Verantwortlich für solche erschreckenden Zustände sind nach Auffassung der Akademievertreter nicht zuerst Geld- und Personalmangel. Kern des Problems bleibt den Autoren zufolge die strukturelle Verdünnung medizinischer Kompetenz durch zu viele Einrichtungen. Jedem vierten allgemeinen Krankenhaus fehlt demnach ein Computertomograf, jedes fünfte hat kein Intensivbett. Dagegen helfe nur noch ein radikaler Verzicht. Betroffen von einem Eingriff wären aber nicht etwa die ländlichen Räume. "Die meisten der kleinen Kliniken, von denen hier die Rede ist, stehen in den deutschen Ballungszentren", sagt Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin und einer der Autoren des Papiers.

"Qualifiziertes medizinisches Personal ist derzeit im Grunde ausreichend vorhanden"

So habe Berlin mehr städtische Krankenhäuser als ganz Mecklenburg-Vorpommern, nämlich 41 gegenüber 29. Hinzu kommen gut drei Dutzend Einrichtungen, die nicht in die Planungshoheit des Senats fallen. Wenige der Kliniken sind aber für alle Patienten geeignet: So verfügen nur 15 über eine zertifizierte Stroke-Unit für die intensivmedizinische Behandlung von Schlaganfällen. "Immer wieder landen Schlaganfallpatienten in Einrichtungen ohne eine solche Spezialisierung", sagt Busse - weil der Krankenwagen eben die nächste Klinik anfahre. Anstatt die beste.

Ein Verzicht auf solche schlecht ausgestatteten Kliniken würde laut Busse nicht nur dazu führen, dass die Ambulanz einige Straßen weiter eine optimale Versorgung des Patienten erreichen kann. Er könnte auch das vorgebliche Problem des Personalmangels lösen, das nach Ansicht der Experten ebenfalls eine rein strukturelle Ursache hat. "Qualifiziertes medizinisches Personal ist derzeit im Grunde ausreichend vorhanden, aber auf zu viele Häuser verteilt", schreiben die sechs Autoren. Würde man die gleiche Zahl von Ärzten und Pflegern in weniger Krankenhäusern mit weniger Betten, aber jeweils umfassender Kompetenz und Ausstattung im 24-Stunden Betrieb einsetzen, wäre das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch zum medizinisch Besten der Patienten.

Busse ist sich jedoch bewusst, wie schlecht die Aussichten sind, diesen radikalen Ansatz der Wissenschaftler bei der Bundespolitik durchzusetzen. Krankenhausschließungen kommen beim Wähler eben schlecht an. Und so hat Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja im vergangenen November sogar angekündigt, die Zahl der Betten in der Hauptstadt wieder anzuheben. Gebaut wird auch: Berlin bekommt eine weitere Klinik.

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Laut Barmer GEK gäbe es ein riesiges Einsparpotenzial, wenn Ärzte mehr Nachahmerprodukte einsetzen. Und schlechter seien die Medikamente auch nicht.

Anmerkung: In einer ersten Fassung des Textes hieß es, es gebe rund 1900 allgemeine Krankenhäuser in Deutschland. Tatsächlich sind es rund 1600 allgemeine Kliniken. Wir haben das entsprechend geändert.

© SZ vom 26.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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