Medizin:Wie gefährlich sind Hormon-Präparate in den Wechseljahren?

Wolken über Niederbayern

Einiges spricht dafür, dass Hormone im Alltag mit noch mehr Nebenwirkungen einhergehen, als bisher in Studien berichtet wurde.

(Foto: dpa/dpaweb)
  • Im Fachmagazin Jama berichtet Wissenschaftler, dass die Sterblichkeit von Frauen, die Hormone in den Wechseljahren genommen haben, insgesamt nicht erhöht ist.
  • Experten fürchten, dass die aktuelle Studie als Freibrief für die unkritische Hormongabe in den Wechseljahren missverstanden wird.
  • Die Botschaft ist klar: Frauen, die erhebliche Beschwerden haben, können Hormone einnehmen - allerdings möglichst kurz und in einer möglichst niedrigen Dosierung.

Von Werner Bartens

Nur wenige Forschungsergebnisse haben die Lebenswirklichkeit von Frauen so stark beeinflusst wie die Veröffentlichung der WHI-Studie im Sommer 2002. Damals wurde eine Analyse der Women's Health Initiative vorzeitig abgebrochen, weil sich immer deutlicher zeigte, dass die Hormongabe in den Wechseljahren mehr schadet als nutzt. Frauen, die Hormone schlucken, haben demnach ein höheres Risiko, an Thrombosen, Lungenembolien, Brustkrebs und Herzinfarkt zu erkranken.

In den folgenden Jahren bekräftigten weitere Untersuchungen diese Befunde und Millionen Frauen verzichteten fortan auf die Hormonzufuhr, die zuvor lange als ewiger Jungbrunnen und Schutz vor Infarkt, Krebs und morschen Knochen gegolten hatte.

Jetzt gibt es neue Botschaften im Zusammenhang mit der WHI-Studie. Auf den ersten Blick klingt es wie eine Entwarnung, wenn im Fachmagazin Jama davon berichtet wird, dass die Sterblichkeit von Frauen, die Hormone genommen haben, insgesamt nicht erhöht ist und auch die Sterblichkeit an Krebs, Infarkt und Co. nicht ansteigt. Die neue Langzeitstudie erstreckte sich immerhin über einen Beobachtungszeitraum von 18 Jahren.

Fast alle Frauen setzten die Hormone ab

"Die Gesamtsterblichkeit ist ein wichtiges und umfassendes Kriterium für eine Intervention wie die Hormonbehandlung, die mit einem komplexen Muster aus Schaden und Nutzen einhergeht", sagt Studienleiterin JoAnn Manson von der Universität Harvard. "Die Gesamtsterblichkeit ist schließlich so etwas wie die Quintessenz, wenn es um den Netto-Effekt einer Behandlung und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit geht."

Mehr als 27 000 Frauen hatten an der Untersuchung teilgenommen. Die Hälfte nahm entweder eine Östrogen-/Progesteron-Kombination oder nur Östrogene. Sie wurden mit der anderen Hälfte der Frauen verglichen, die ein Scheinpräparat bekamen, ohne zu wissen, zu welcher Gruppe sie gehörten. Fast alle Frauen setzten die Hormone ab, nachdem die Untersuchung 2002 beziehungsweise 2004 vorzeitig aufgrund zu häufiger Komplikationen und Nebenwirkungen abgebrochen werden musste. Jetzt analysierten die Wissenschaftler um Manson, wie es den Frauen in den zwölf Jahren danach ergangen war.

"Es ist richtig, es gibt keine neuen Erkenntnisse, das sind die alten Daten zur WHI-Studie", sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg. "Da gibt es keinen Unterschied in der Sterblichkeit zwischen Placebo und Hormonen über die 18 Jahre. Die Botschaft ist keine andere als das, was bisher auch schon gesagt wurde und in den Leitlinien empfohlen wird: Frauen, die erhebliche Beschwerden haben, können Hormone einnehmen - allerdings möglichst kurz und in einer möglichst niedrigen Dosierung."

Mühlhauser, die zum Vorstand des Netzwerks für evidenzbasierte Medizin gehört, das sich für mehr Qualität in wissenschaftlichen Studien einsetzt, befürchtet, dass die aktuelle Studie dennoch als Freibrief für die unkritische Hormongabe in den Wechseljahren missverstanden wird. "Dabei muss man wissen, dass diese Behandlung ja ursprünglich zur Krankheitsverhütung und Lebensverlängerung gedacht war", sagt Mühlhauser. "Die WHI-Studie startete Ende der 90er-Jahre immerhin mit der Hypothese, dass durch die Hormongabe 25 Prozent weniger Herzkreislaufleiden auftreten würden."

Sicher mehr Komplikationen als bekannt

Wenn sich nun mit großem Abstand zur Hormonbehandlung zeigt, dass dadurch auf Dauer nicht mehr Frauen sterben, sei das zwar erfreulich. Doch Hormone werden - wenn überhaupt - längst nur noch zur Behandlung der Wechseljahresbeschwerden und nicht zur Prävention genommen. "An den Vorbeugeaspekt glaubt ja niemand mehr", sagt Mühlhauser. "Wenn Frauen aktuell Hormone einnehmen, sind die akuten Probleme relevant. Dann muss ich die unerwünschten Effekte und nicht nur die Sterblichkeit beachten."

Die Gefahren hat die WHI-Studie schon 2002 aufgezeigt. Unter jenen Frauen, die eine Hormonkombination erhielten, traten 41 Prozent mehr Schlaganfälle, 29 Prozent mehr Herzinfarkte und doppelt so viele Thrombosen und Embolien auf. Auch der Anteil der Frauen mit Brustkrebs war unter der Hormongabe um 26 Prozent erhöht. Erst im Frühjahr 2017 hatte eine Übersichtsarbeit der Cochrane-Initiative, die für besonders gründliche Analysen aller verfügbaren Daten bekannt sind, diese Befunde weitgehend bestätigt.

In absoluten Zahlen zeigte sich, dass bei Frauen, die ein Jahr oder länger Hormone nehmen, das Risiko für einen Herzinfarkt von zwei pro tausend auf drei bis sieben pro tausend ansteigt, jenes für eine Thrombose von zwei pro tausend auf vier bis elf pro tausend. Bei einer längeren Hormoneinnahme steigt auch das Risiko für Schlaganfall, Brustkrebs, Gallenleiden und Lungenkrebs. Bei Frauen jenseits der 65 kommt es unter jenen, die Hormone nehmen, häufiger zur Demenz.

"Das Befinden der Frauen sollte im Mittelpunkt stehen"

Vor Bekanntwerden der WHI-Studie haben in Deutschland etwa 40 Prozent der Frauen während der Wechseljahre oder danach Hormone genommen, inzwischen sind es nur noch zwischen 20 und 25 Prozent. Als ähnlich groß wird der Anteil jener Frauen geschätzt, die besonders stark unter dem Klimakterium leiden. "Das Befinden der Frauen sollte im Mittelpunkt stehen", sagt Ingrid Mühlhauser. "Natürlich können Hormone Beschwerden lindern, aber die kurzfristigen Komplikationen darf man nicht vom Tisch wischen." Neben den lebensbedrohlichen Folgen kann die Hormongabe nämlich auch zu der lästigen Begleiterscheinung führen, dass Frauen häufiger inkontinent werden und die Symptome stärker ausfallen.

Zudem spricht einiges dafür, dass Hormone im Alltag mit noch mehr Nebenwirkungen einhergehen, als bisher in Studien berichtet wurde. Schließlich sind Frauen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Thrombose, Herzinfarkt, Brustkrebs und anderen Risikofaktoren ausdrücklich von der WHI-Studie und ähnlichen Untersuchungen ausgeschlossen worden, Frauen mit Übergewicht auch. "Es handelte sich in den Studien um ziemlich gesunde Frauen, wer bleibt da eigentlich im Alltag noch übrig?" fragt Mühlhauser. "Wenn man Hormone unter Routinebedingungen bei normalen Frauen einsetzt, gibt es sicher mehr Komplikationen. Das muss man für die Praxis beachten und gründlich abwägen."

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