Süddeutsche Zeitung

Medizin:Wegen falscher Pillen in die Notaufnahme

  • Ärzte und Wissenschaftler des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) haben in vier großen Notaufnahmen 30 Tage lang untersucht, was Menschen in die Klinik führt.
  • Von mehr als 10 000 aufgenommenen Patienten kamen immerhin 6,5 Prozent aufgrund unerwünschter Medikamenten-Nebenwirkungen in die Notaufnahme.
  • Die Patienten, bei denen Nebenwirkungen vorkamen, waren deutlich älter und mussten zumeist viele Tabletten schlucken.

Von Werner Bartens

In der Theorie gibt es für viele Leiden die passende Pille. In der Praxis sieht es häufig weniger geordnet aus. Patienten bringen "die gelbe", "die weiße" und "die blaue" Tablette durcheinander. Manche nehmen ihre Medikamente zu früh oder zu spät - andere hingegen gar nicht.

Insofern überrascht es kaum, dass unerwünschte Nebenwirkungen häufig zu Krankenhausaufenthalten führen. Eine Analyse im aktuellen Deutschen Ärzteblatt zeigt, in welchem Ausmaß Patienten aus diesem Grund in die Notaufnahme kommen müssen.

Ärzte und Wissenschaftler des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) haben in vier großen Notaufnahmen in Ulm, Fürth, Bonn und Stuttgart 30 Tage lang untersucht, was Menschen in die Klinik führt. Von mehr als 10 000 aufgenommenen Patienten kamen immerhin 6,5 Prozent aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen in die Notaufnahme. Wurden nur jene Patienten berücksichtigt, bei denen eine Medikamenteneinnahme dokumentiert war, litten sogar 11,6 Prozent unter unerwünschten Nebenwirkungen.

Bei den Symptomen geht es nicht nur um banale Zipperlein

Die Patienten, bei denen Nebenwirkungen vorkamen, waren deutlich älter und mussten zumeist viele Tabletten schlucken. Etwa 70 Prozent hatten das 65. Lebensjahr bereits überschritten und nahmen drei oder mehr - im Mittel waren es sieben - Medikamente gleichzeitig ein. Beides hängt miteinander zusammen. Bei älteren Patienten ist der Gesundheitszustand oft schlechter, weswegen sie häufig eine Vielzahl von Arzneimitteln einnehmen.

Mit steigendem Alter nimmt die Anzahl der eingenommenen Wirkstoffe immer weiter zu. Zudem kann der Organismus im Alter Belastungen nicht mehr so gut kompensieren, die Leber verstoffwechselt Medikamente langsamer, die Niere scheidet sie nicht mehr so rasch aus. Deswegen sind ältere Menschen "vulnerabler für die Entstehung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen", wie die Autoren betonen.

Am häufigsten lösten Blutverdünner und Blutdrucksenker wie ACE-Hemmer und Beta-Blocker die Beschwerden aus. Patienten klagten über Bauchschmerzen, Erbrechen, Übelkeit - aber auch Schwindel und Ohnmachtsgefühle waren häufig. Dass es sich bei den Symptomen nicht um banale Zipperlein handelte, zeigt der weitere Verlauf: 89 Prozent der Patienten mit Verdacht auf unerwünschte Nebenwirkungen wurden nach ihrem Besuch in der Notaufnahme stationär aufgenommen. Im Gesamtkollektiv der mehr als 10 000 Notaufnahmepatienten waren das hingegen nur 43,7 Prozent.

Die Autoren appellieren an Ärzte, "besonders bei älteren Patienten mit unspezifischen Beschwerden" an unerwünschte Nebenwirkungen zu denken. Zudem gibt es seit 1991 die Priscus-Liste, in der Medikamente aufgeführt sind, die ältere Menschen nicht nehmen sollten oder schlecht vertragen. Man kann es natürlich auch mit jenem Hausarzt halten, der seinen Namen nicht erwähnt haben wollte. Seine Faustregel für aktiven Patientenschutz: "Kommen meine Leute mit 20 Medikamenten aus der Klinik zurück, streiche ich erst mal alle, die ich nicht kenne", sagt er. "Wenn ich sie nicht kenne, können sie auch nicht so wichtig sein."

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SZ vom 13.04.2018/fehu
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