Stress ist vor allem Nervensache, zieht aber den gesamten Organismus in Mitleidenschaft. Zwar wissen Ärzte, dass Herzbeschwerden früher auftreten, Gefäße eher dichtmachen und nahezu jedes Organ beeinträchtigt werden kann, wenn der Mensch dauerhaft unter Strom steht. Auf welche Weise psychische Belastungen den Körper schädigen, ist hingegen nicht im Detail bekannt. Harvard-Mediziner zeigen nun im Fachmagazin Lancet, wie chronischer Stress vom Hirn gesteuert in der Folge Herz und Blutgefäßen zusetzt.
Das Team um Ahmed Tawakol hat fast 300 Erwachsene mittleren Alters untersucht. Bei Probanden, die über starken Stress klagten, war die Nervenaktivität der tief im Hirn gelegenen Amygdala erhöht, die auch als Mandelkern bezeichnet wird. Zudem waren die Adern dieser Studienteilnehmer stärker verhärtet und weniger durchlässig. Der Mandelkern gilt als Teil des emotionalen Gehirns, in dem Gefühle wie Angst und Ärger verarbeitet werden. Unter Stress gehen von hier offenbar Signale an das Knochenmark und andere Körperregionen aus, vermehrt weiße Blutkörperchen und weitere Entzündungsstoffe zu produzieren.
"Werden psychische Belastungen reduziert, dient das dem Wohlgefühl und der Gesundheit"
So werden chronische Entzündungen im Körper angeregt, ohne dass dazu ein Keim oder eine Infektion notwendig wäre. Der von Medizinern als Inflammation bezeichnete Vorgang ist ein steter und allgegenwärtiger Aggressionsherd im Körper, der jedes Gewebe und besonders die Wände von Arterien angreifen kann, die daraufhin rigider und dicker werden. Vorzeitige Gefäßverengung und damit Krankheiten wie Angina Pectoris, Herzinfarkt oder Schlaganafall sind die naheliegende Folge.
Mit Scans des Gehirns und anderer Körperregionen wiesen die Forscher nach, dass eine erhöhte Aktivität der Amygdala mit einer erhöhten Konzentration von Substanzen einherging, die Entzündungen aufrechterhalten. Auch klinisch zeigte sich, dass die Blutgefäße bei Probanden stärker beeinträchtigt waren und ihr Infarktrisiko um nahezu 60 Prozent erhöht, wenn der Mandelkern ständig feuerte. "Genauso wie nach anderen Risikofaktoren für Herzkreislaufleiden sollte routinemäßig auch nach chronischem Stress gefragt und die Behandlung danach ausgerichtet werden", sagt Tawakol. "Werden psychische Belastungen gezielt reduziert, dient das nicht nur dem Wohlgefühl, sondern hat handfeste Auswirkungen auf die Gesundheit."
In früheren Analysen hatten Ärzte aus Großbritannien umfangreiche Daten zusammengetragen und gezeigt, dass psychischer Stress und negative Gefühle das Risiko für Infarkt und Schlaganfall fast so sehr erhöhen wie das Rauchen und stärker dazu beitragen als Risiko-Klassiker wie Bluthochdruck, erhöhtes Cholesterin und Diabetes. "Im letzten Jahrzehnt hat sich gezeigt, dass immer mehr Menschen über täglichen Stress klagen, sei es durch vermehrte Arbeitsbelastung, Jobunsicherheit oder prekäre Verhältnisse", schreibt Ilze Bot von der Universität Leiden in einem Kommentar. "Wir müssen das in unserer täglichen medizinischen Routine stärker berücksichtigen."