Medizin:Pharmafreie Zone

Medizin: Es muss nicht gleich richtige Bestechung sein: Die Meinung eines Arztes über ein Medikament wird schon dadurch beeinflusst, dass er mit der Herstellerfirma zusammengearbeitet hat.

Es muss nicht gleich richtige Bestechung sein: Die Meinung eines Arztes über ein Medikament wird schon dadurch beeinflusst, dass er mit der Herstellerfirma zusammengearbeitet hat.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Bei der Entwicklung medizinischer Leitlinien sollten Ärzte, die Geld von der Industrie bekommen, keinerlei Einfluss haben. Sonst leiden die Patienten.

Kommentar von Christina Berndt

Wer zum Arzt geht, möchte die beste Behandlung. Also jene, die nach dem Stand des Wissens die beste ist. Nicht jene, an der die Pharmaindustrie am meisten verdient. Voraussetzung dafür ist, dass Ärztinnen und Ärzte gut informiert sind. Und dafür müssen ihnen zuallererst die medizinischen Leitlinien Orientierung bieten, unabhängig von fremden Einflüssen.

Umso mehr irritieren zwei Papiere der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), die für die Erstellung der Leitlinien verantwortlich ist. Die AWMF hat viel für Transparenz im Medizinsystem getan; so hält sie die Autoren der Leitlinien dazu an, sich bei Abstimmungen zu enthalten, wenn sie Interessenkonflikte haben, und diese offenzulegen. Doch in ihren jüngsten Stellungnahmen zu Kooperationen mit der Industrie und Sponsoring behandelt die AWMF die Zusammenarbeit von Ärzten mit der Pharmaindustrie wie ein Naturphänomen, an dem nichts zu ändern wäre. Zu Recht empören sich darüber Kämpfer gegen Korruption wie Transparency International, Mezis und Leitlinienwatch.

Die Offenlegung von Interessenkonflikten ist wichtig, aber kein Allheilmittel

Es ist richtig, dass der medizinische Fortschritt die Pharmaindustrie braucht. Sie entwickelt oft neue Medikamente und prüft diese dann gemeinsam mit Medizinern in klinischen Studien. Auch macht die Industrie Entwicklungen aus Universitäten praxistauglich. Nicht umsonst hat sich die kleine Firma Biontech mit Pfizer einen erfahrenen Partner gesucht, um ihren Corona-Impfstoff zur Marktreife zu bringen.

Dennoch ist es falsch, die Zusammenarbeit auf allen Ebenen als Notwendigkeit zu betrachten und die Offenlegung von Interessenkonflikten als Allheilmittel. Die Kooperation mit der Industrie verstellt Medizinern den neutralen Blick. Mögen sie sich auch noch so frei fühlen: Studien haben gezeigt, dass Ärzte die Medikamente jener Firma positiver bewerten, von der sie Geld bekommen.

Es braucht deshalb mehr öffentliches Geld für unabhängige Studien. Auch muss die Fortbildung pharmafrei werden, denn die Industrie ist ein Quell der Desinformation. Dann fallen Kongresse eben mal weniger mondän aus. Vor allem sollten Fachleute mit Interessenkonflikten grundsätzlich keine Leitlinien schreiben: Es kann nicht sein, dass jemand, der sich von Pharmakonzernen bezahlen lässt, die Therapieempfehlungen verfasst. Transparenz ist nur der erste Schritt zur Besserung. Sie heilt noch kein krankes System.

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