Süddeutsche Zeitung

Medizin:Immer mehr Kinder leiden unter Rückenschmerzen

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Ursachen für die Pein im Kreuz sind zu wenig Bewegung, aber auch Stress und Sorgen.

Von Werner Bartens

Rückenschmerzen sind die Volkskrankheit Nummer eins. Vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule machen sich die Beschwerden bemerkbar. Während das Thema unter Erwachsenen wohlbekannt ist, wird das Leiden bei Kindern und Jugendlichen häufig unterschätzt - obwohl die Kreuzschmerzen zunehmend auch Jüngere betreffen. Ärzte aus den USA zeigen im Fachmagazin JAMA Pediatrics ( online), was die Ursachen für die Zunahme der Diagnosen sind und wie viele Kinder bereits über die einschlägigen Symptome klagen.

Vor der Einschulung kommen Rückenschmerzen unter gesunden Kindern praktisch nicht vor. Im Alter von sieben Jahren hat jedes hundertste Kind Beschwerden, mit zehn Jahren sind es bereits sechs Prozent. Während des Wachstumsschubs zwischen 14 und 16 Jahren sind 18 Prozent der Kinder betroffen. Im Erwachsenenalter muss ungefähr jeder fünfte Mensch mit Rückenschmerzen leben. Der Anstieg während der Pubertät liegt nicht nur daran, dass der eben noch kleine Mensch plötzlich in die Höhe schießt und die Muskulatur mit dem Knochenwachstum nicht immer mithält. In jungen Jahren fehlt es oftmals auch am richtigen Maß an Bewegung. Sowohl zu wenig körperliche Aktivität als auch zu viel Sport und Überlastungen sind Ursachen für frühe Schmerzen im Kreuz.

Jugendliche haben nicht nur deshalb Rückenbeschwerden, weil sie in die Höhe schießen

Zudem können Stress, Sorgen und andere seelische Belastungen auch Kindern Rückenweh verpassen. Bei Erwachsenen ist dies der Hauptgrund für Beschwerden im Kreuz; inzwischen erkennen Ärzte, wie bedeutend psychosoziale Faktoren auch im Jugendalter sind. "In der Ausbildung zum Kinderarzt wurde lange gelehrt, dass es immer nur einen Grund gibt, wenn Kinder oder Jugendliche Rückenschmerzen haben, aber neue Untersuchungen zeigen, dass dies nicht der Fall sein muss", sagt James MacDonald, der Erstautor der Studie, und meint das körperliche Wachstum: "Ärzte müssen die vielfältigen Ursachen kennen." Viele der Beschwerden seien zwar gutartig und würden mit der Zeit verschwinden. Trotzdem sei es hilfreich, zu wissen, was Schmerzen begünstigt.

"Es gibt viele Gründe dafür, dass Rückenschmerzen nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen zunehmen", sagt Marcus Schiltenwolf, Orthopäde an der Uniklinik Heidelberg. "Kinder spielen weniger und bewegen sich weniger draußen. Das führt zum Verlust an körperlicher Kompetenz, Fitness, und Körperkontrolle. Die Bewegungsfreude hat nachgelassen." In der Folge sind sie weniger in der Lage, mit Beschwerden umzugehen. "Letztlich haben wir trotz einer Zunahme von Diagnostik und Therapie auch im Kindesalter eine Zunahme von Schmerzen und Beschwerden, weil den Betroffenen der Zugang zu ihren Bedürfnissen und Kompetenzen fehlt", so der Arzt.

Psychischer Stress spielt eine große Rolle. Gibt es familiär oder in der Schule Probleme, schlägt sich das oft in Beschwerden nieder. "Wenn Spannungen zu Hause auftreten, sind Kinder schnell überfordert und entwickeln Symptome", sagt Orthopäde Schiltenwolf. "Mit den Schmerzen und durch den Arztbesuch gewinnen sie an Zuwendung." Statt sich selbst besser kennenzulernen, wird der Umgang mit Rückenschmerzen an Mediziner und Physiotherapeuten delegiert.

Ärzte sind nicht immer eine Hilfe. "Manchmal erkennen sie das systemische Problem nicht und fördern durch angstbesetzte Beratungen und Verbote sowie unsinnige Therapien die Beschwerden noch", sagt der Orthopäde. In diesem Fall kann die Medizin die sozialen und psychischen Störungen nicht kompensieren, sondern trägt zum weiteren Verlust der Körperkompetenz bei, sodass sich die Schmerzen sogar verfestigen.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2017
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