Süddeutsche Zeitung

Medizin:"Haken und Klappe halten!"

  • Eine Studie zeigt: Konflikte im OP-Saal gehen häufig von Menschen aus, die höher auf dem Hierarchie-Treppchen stehen als der Streitpartner; also beispielsweise ein Zwist zwischen Chef- und Assistenzarzt.
  • Während der Beobachtung entstanden Reibereien besonders häufig unter Menschen gleichen Geschlechts, und das galt eher für Männer.
  • Die Bereitschaft zur Kooperation war innerhalb des Teams immer dann erhöht, wenn der Chefoperateur ein anderes Geschlecht hatte als die Mehrheit des Teams.

Von Felix Hütten

Es ist ein verständlicher Wunsch aller Patienten, dass im Operationssaal Ruhe und Konzentration herrschen sollte, während das Skalpell durch Haut schneidet und Fett und Organe freilegt. Es ist ein Wunsch, der nicht immer in Erfüllung geht. Oder anders formuliert: Im OP geht es manchmal zu wie im Affengehege. Das zeigt eine aktuelle Studie, erschienen im Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences.

Ein Team von Wissenschaftlern um die Anthropologin Laura K. Jones von der Emory University in Atlanta, das sich eigentlich mit dem Verhalten von Primaten beschäftigt, kam auf die Idee, soziale Interaktionen unter Chirurgen, Anästhesisten und OP-Personal mit einer in der Tierforschung häufig verwendeten Methode zu untersuchen. Hinter diesem Vorhaben steckte die These, dass menschliches Verhalten manchmal nicht weit weg ist von dem unserer tierischen Vorfahren.

Die Studie kann diese These selbstverständlich nicht zweifelsfrei bestätigen, interessant sind die Ergebnisse dennoch: Wie bei vielen Primatenarten gingen auch die Konflikte im Operationssaal während der 200 untersuchten Eingriffe häufig von Individuen aus, die höher auf dem Hierarchie-Treppchen standen als ihr Streitpartner; also beispielsweise ein Zwist zwischen Chef- und Assistenzarzt.

Zweite Erkenntnis: Reibereien entstanden besonders häufig unter Menschen gleichen Geschlechts, und das galt - genauso wie unter nichtmenschlichen Primaten - eher für Männer. Dies führt zur dritten Beobachtung der Studie: Die Bereitschaft zur Kooperation war innerhalb des Teams immer dann erhöht, wenn der Chefoperateur ein anderes Geschlecht hatte als die Mehrheit des Teams.

Beleidigungen, Flirtversuche, Lästereien: Während Operationen spielt sich das alles im Team ab

"Nach allem, was wir wissen, kommen Rivalitäten und Konflikte typischerweise unter Menschen gleichen Geschlechts häufiger vor, als bei Menschen mit unterschiedlichem Geschlecht", sagt Studienautorin Laura K. Jones. Ihre Co-Autorin Bonnie Jennings ergänzt: "Im Gesundheitswesen gelten viele Konzepte, die man deshalb überdenken müsste. Unsere Studie könnte helfen, Teamstrukturen neu zu definieren."

Bevor Patienten jetzt den Eindruck gewinnen, dass es in Operationssälen ständig Hauen und Stechen gibt, lohnt ein weiterer Blick auf die Studie. Die Forscher konnten "alle Arten sozialer Interaktion" feststellen, darunter neben Gesprächen über technische Aspekte der Operation eben auch Beleidigungen, Flirtversuche und Lästereien. Im Protokoll finden sich aber ebenso friedliche Gespräche und sogar Tanzeinlagen, weil im OP häufig Musik läuft.

Letztlich also, und das ist wichtig zu verstehen, konnten die Forscher in mehr als der Hälfte aller Fälle ein kooperatives Verhalten erkennen. In nur 2,8 Prozent der insgesamt mehr als 6300 dokumentierten Interaktionen kam es zu Konflikten, von denen wiederum nur ein Bruchteil tatsächlich das Patientenwohl hätte gefährden können. Meistens ging es um ruppige Antworten oder Unterbrechungen, selten um Wutausbrüche, bei denen Operationsbesteck durch den Saal geworfen wurde.

Die Forscher betonen: Wer die Zusammenarbeit im Operationssaal verbessern will, sollte die lange Geschichte der Entwicklung des Menschen im Blick behalten. Es gehe nicht darum, Konflikte gänzlich zu vermeiden, sondern sie konstruktiv zu nutzen. Jede soziale Gruppe brauche eine gesunde Balance zwischen Kooperation und Konflikt. Das ist unter Menschen nicht anders als unter Affen.

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Quelle:
SZ vom 05.07.2018/fehu/hach
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