Medizin:Fragwürdiger Einfluss der Patientenvertreter

Grippeerkrankungen in Niedersachsen

Wenn sich Patienten zusammenschließen, müssen sie aufpassen, wer alles mitredet.

(Foto: dpa)

Patientenverbände sollen Bedürfnisse der Kranken öffentlich machen. Aber mitunter erweisen sie ihnen einen Bärendienst - wie in dieser Woche ein Gerichtsstreit um die Borreliose zeigte.

Kommentar von Astrid Viciano

Patienten sollten eine öffentliche Stimme haben. Ihre Nöte, ihre Bedürfnisse sollten gehört, ihre Meinung sollte Gewicht haben in medizinischen wie ethischen Debatten. So viel ist unbestritten. Was aber, wenn ihre Vertreter sich nicht an wissenschaftlicher Evidenz orientieren? Was, wenn sie Tests und Therapien propagieren, die für die Patienten nutzlos, im schlimmsten Fall schädlich sind?

Was dann passieren kann, war in seiner extremen Form an der neuen S-3-Leitlinie zur Neuroborreliose zu beobachten. 25 Fachorganisationen hatten drei Jahre lang nach höchsten wissenschaftlichen Maßstäben an den Handlungsempfehlungen gefeilt - und durften sie nicht veröffentlichen. Zwei Patientenverbände, die Deutsche Borreliose-Gesellschaft sowie der Borreliose-und-FSME-Bund Deutschland, hatten vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung erwirkt. Der Grund: Sie fühlten sich darin mit ihren kritischen Ansichten nicht prominent genug vertreten. Hoch umstrittene Ansichten zu Diagnostik und Therapie, um es vorsichtig zu formulieren. Drei Monate dauerte es, bis die Leitlinie nun endlich publiziert werden durfte.

Die Betroffenen sehen nicht, dass manche Selbsthilfegruppen unterwandert sind

Der jüngste Vorgang verdeutlicht wieder, welche Gefahr im Einfluss von Patientenverbänden liegen kann. Ihnen nämlich vertrauen die Betroffenen, an sie wenden sich Kranke und Angehörige, um sich beraten zu lassen. Und hoffen auf seriöse und unabhängige Information.

Manchmal, wie bei der Borreliose, werden schlicht unwissenschaftliche Empfehlungen propagiert. Oft sind Selbsthilfegruppen aber auch unterwandert, was für Patienten kaum zu durchschauen ist. So berichtete ein Mitarbeiter der Psoriasis-Selbsthilfe-Arbeitsgemeinschaft vor Jahren eindrücklich, wie die Pharmaindustrie zunächst nur deren Plakate sponsorte, aber mehr und mehr Lobbyarbeit von Seiten des Verbands erwartete, um ein neues und sehr teures Psoriasis-Medikament unter die Patienten zu bringen.

Auch finden sich Internetseiten von Patientenverbänden, die direkt auf die Website eines Pharmaunternehmens verlinken. Manchmal gründen die Firmen auch eigene Selbsthilfegruppen. Schließlich können Patienten so ihre Bedürfnisse gegenüber der Pharmaindustrie artikulieren, heißt es. Doch allzu leicht vermischen sich dann echte Bedürfnisse und falsche PR zu einer grauen Soße. Stattdessen sollte mehr Transparenz zur Pflicht werden, die Selbsthilfegruppen sollten nicht nur Interessenskonflikte offenlegen, sondern sich auch der Gefahren bewusst sein, die im Sponsoring durch die Industrie liegen. Damit die Verbände das fortsetzen könne, was sie so wertvoll macht: Kranken und Angehörigen mit fundierten Ratschlägen zur Seite zu stehen.

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