Sie werden benutzt, um zu schlafen, abzunehmen, wach zu bleiben oder leistungsfähiger zu sein. Der Missbrauch von Medikamenten ist in Deutschland weit verbreitet, bis zu 1,9 Millionen Menschen sind abhängig. Bestimmte Schlaf- und Beruhigungsmittel werden dabei immer häufiger per Privatrezept an gesetzlich Krankenversicherte verordnet, die sie dann in der Apotheke selbst bezahlen.
Dies geht aus dem neuen "Jahrbuch Sucht" der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hervor, das am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach wird die Einnahme dieser Arzneimittel bislang nirgendwo vollständig systematisch ausgewertet. Der Bremer Pharmakologe Gerd Glaeske nennt dies "ein Riesenproblem".
Auffällig ist der Anstieg der Verordnungen aus der Gruppe der "Z-Drugs"
Private Verordnungen würden von den gesetzlichen Kassen nicht erfasst. Dadurch fallen laut Glaeske weder Ärzte als "Vielverordner" auf, noch Patienten, die sich Schlaf- und Beruhigungsmittel womöglich von verschiedenen Medizinern aufschreiben ließen, um ständig genug "Stoff" zu haben. Dadurch werde verschleiert, wie viel tatsächlich konsumiert werde. Nach Angaben des Gesundheitswissenschaftlers werden zwar Mittel aus der Benzodiazepin-Familie (etwa Valium) weniger verschrieben. Auffällig sei aber der Anstieg der Verordnungen bei Schlafmitteln aus der Gruppe der "Z-Drugs" mit den Wirkstoffen Zolpidem und Zopiclon. Etwa die Hälfte dieser Mittel werde mittlerweile auf Privatrezept verordnet, vor allem an gesetzlich Krankenversicherte.
Normalerweise sollten Tranquilizer und Schlafmittel nur kurzfristig für acht bis 14 Tage eingenommen werden, schreibt Glaeske im Jahrbuch der DHS. Zwei Drittel der Verordnungen wiesen aber auf längere Zeiträume hin - für den Pharmakologen ist dies "der verordnete Missbrauch mit Abhängigkeitsfolge". Dies gelte vor allem für ältere Menschen ab 65 Jahren. Zwei Drittel davon seien Frauen, bei denen die Probleme oft in den Wechseljahren mit depressiven Verstimmungen beginnen würden.
Auch die bei Frauen weit häufigere Einsamkeit im Alter sowie Altersarmut könnten in eine Abhängigkeit führen. Glaeske sprach von einer "nach innen gerichteten, stillen Sucht", oft mit fatalen Nebenwirkungen gerade bei älteren Menschen. So könnten immer mehr Wirkstoffmengen im Körper die Konzentrationsfähigkeit einschränken, zu Gedächtnisschwächen, einem unsicheren Gang und zu Stürzen führen.
Der Forscher hält auch den Markt für Schmerzmittel für intransparent: 70 Prozent der 150 Millionen Packungen würden ohne Rezept gekauft, oft von Patienten, die schon Schmerzmittel bekommen. Die Kranken würden diese Arzneien jedoch häufig nicht richtig einsetzen. Glaeske forderte, die Werbung für rezeptfreie Arzneimittel mit Missbrauchspotenzial zu untersagen. Die Pharmaindustrie investiere dafür bis zu 400 Millionen Euro jährlich. Probleme ließen sich aber "nicht einfach wegschlucken".