Süddeutsche Zeitung

Medizin:Expertengremium rät Frauen von Hormonen in den Wechseljahren ab

  • Um kaum ein Thema in der Medizin gibt es einen so erbitterten Streit und ideologisch gefärbte Auseinandersetzungen wie um Hormone in den Wechseljahren.
  • Im Fachmagazin JAMA zeigen Ärzte und Wissenschaftler nun in mehreren Fachartikeln, dass die Nachteile der Hormongabe größer sind als die Vorteile.
  • So kommt es bei Frauen unter Hormonen häufiger zu Brustkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Thrombosen, Demenz, Gallenleiden und Harninkontinenz.

Von Werner Bartens

Wie gut, dass es die Informationen für Patienten gibt. Das Journal of the American Medical Association (JAMA) hat die angenehme Angewohnheit, zu wichtigen medizinischen Fragen eine "Patient Page" zu veröffentlichen. In der aktuellen Ausgabe erfahren Frauen, dass und warum angesehene Experten nicht die langfristige Hormongabe in und nach den Wechseljahren empfehlen. Zwar könnten die Hormone auch einige Vorteile bieten, aber in der Nettobilanz überwiegt der mögliche Schaden den möglichen Nutzen.

Um kaum ein Thema in der Medizin gibt es einen so erbitterten Streit und ideologisch gefärbte Auseinandersetzungen wie um Hormone in den Wechseljahren. Es geht nicht nur um Lobbyinteressen, sondern auch um Weltbilder und darum, ob die Frau ein "Hormonmangelwesen" ist, deren nachlassende körpereigene Produktion ersetzt werden müsse. Unabhängige Ärzte, die in der US Preventive Services Task Force (USPSTF) zusammengeschlossen sind, aktualisieren deshalb regelmäßig ihre Empfehlungen nach dem neuesten Stand der Forschung. Vor der jetzigen Neufassung haben sie zuletzt 2012 die Hormongabe zur Vorbeugung vor Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Diabetes, Knochenbrüchen oder anderen chronischen Leiden unter die Lupe genommen.

Eine kurzzeitige Behandlung akuter Beschwerden kann angemessen sein

In JAMA zeigen Ärzte und Wissenschaftler in mehreren Fachartikeln, dass die Nachteile der Hormongabe größer sind als die Vorteile. So kommt es bei Frauen unter Hormonen häufiger zu Brustkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Thrombosen, Demenz, Gallenleiden und Harninkontinenz. Dem steht gegenüber, dass die Hormongabe Frauen seltener an Knochenbrüchen, Diabetes und Enddarmkrebs leiden lässt. Die Effekte sind insgesamt gering. So treten neun zusätzliche Fälle von Brustkrebs und 21 zusätzliche Thrombosen auf, wenn 10 000 Frauen Hormonpräparate nehmen - auf der anderen Seite werden sechs Fälle von Enddarmkrebs und 44 Knochenbrüche verhindert. "Es gibt zwar einen gewissen Nutzen, aber eben auch gut dokumentierte Risiken und Schäden", schreiben die Autoren der USPSTF.

Die Fragestellung ist im Alltag von großer Relevanz, denn Frauen, bei denen im Durchschnitt mit 51,3 Jahren die Menopause einsetzt, haben im Mittel noch mindestens 30 Jahre zu leben - und mit dem Alter steigt das Risiko für Krebs, Herzleiden, Knochenbrüche und Demenz. Weil sich die Risiken der Hormongabe herumgesprochen haben, sind viele Ärzte zurückhaltend, Frauen langfristig eine Behandlung zu verordnen. In einem begleitenden Kommentar schreiben die Ärztinnen Cora Lewis und Melissa Wellons, dass es "zwar angemessen sein kann, wenn gesunde Frauen zur Linderung von klimakterischen Symptomen" kurze Zeit und niedrig dosiert Hormone nehmen. Sie erinnern die Frauenärzte aber daran, dass die kurzzeitige Behandlung solcher Symptome nicht bedeutet, daraus eine permanente Gabe zur Prävention chronischer Leiden abzuleiten.

Deborah Grady von der University of California in San Francisco zeigt anschaulich, wie radikal sich die Einschätzung der Hormone in den vergangenen 40 Jahren geändert hat - und erklärt damit, warum sich viele Frauenärzte noch immer schwertun, die Präparate nur eingeschränkt zu empfehlen. Aus dem "Jungbrunnen" für die Frau ab 50 wurde eine skeptisch beargwöhnte Medikamentengruppe. Von wenigen Substanzen kennt man inzwischen so gut die Vor- und Nachteile. "Alles, was wirkt, hat auch Nebenwirkungen", sagt Grady. "Üblicherweise nehmen wir geringe Risiken für starke Linderung von Beschwerden in Kauf." Deshalb solle man nicht leichtfertig mit Hormonen umgehen, sie aber für die kurzfristige Behandlung auch nicht verteufeln.

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SZ vom 13.12.2017/fehu
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