Die Sache war eigentlich ganz einfach: Dem Patienten war als Notfalltherapie das Präparat Heparin verordnet worden, das die Blutgerinnung hemmt - mit einer Dosierung von zwei Milliliter pro Stunde. Auf dem Infusionsgerät, das die Arznei in die Vene des Patienten spritzte, las die Pflegekraft eine Flussrate von einem Milliliter pro Stunde ab. Also erhöhte sie den Wert um einen Punkt und wandte sich anderen Aufgaben zu.
Es dauerte eine Weile, bis der Fehler auffiel. Das Infusionsgerät hatte nicht 01 angezeigt, sondern 81. Nun stand der Wert bei 82 - es floss mehr als das Vierzigfache der verordneten Dosis in den Arm des Patienten. Laut dem anonymen Report Nr. 115132, der bei der Ärztekammer Berlin über den Fall angelegt wurde, erlitt der Mann keinen Schaden. In anderen Fällen führte eine zehnfache Überdosierung zu heftigem Bluthusten, und eine irrtümliche Verdopplung der Heparingabe nach einer Operation löste Nachblutungen aus, die einen weiteren Eingriff erforderten.
Mediziner versuchen seit Jahrzehnten, solche Fehler einzudämmen. Sie benennen Faktoren wie den Stress der Pflegekräfte, die Lichtverhältnisse bei Nachtschichten, sie fordern das Vier-Augen-Prinzip und haben Verfahren geschaffen, um anonym und transparent Fehler zu berichten. Harold Thimbleby von der Universität Swansea hingegen sucht die Ursachen früher, in der Ausbildung der Informatiker, die elektronische Geräte entwerfen und programmieren. "Wir dürfen das vermeintlich einfache Eingeben von Zahlen nicht mehr unterschätzen", forderte er vor Kurzem im Journal Open Science der Royal Society. "Hersteller müssen sich mehr Gedanken über mögliche Fehler machen. Wie sie entstehen, wie man sie erkennt und vermeidet oder korrigiert, damit keine überforderten Krankenschwestern mehr vor Gericht kommen."
Auch Todesfälle hat es schon gegeben, weil Infusionsgeräte falsch programmiert wurden: In Hamburg kam 2006 ein vierjähriger Junge um, der nach einer Routine-Operation eine verzehnfachte Dosis Glukose erhalten hatte. Der Chefarzt der Klinik vermutete damals, die verantwortliche Ärztin habe 500 statt 050 eingetippt. Und in den USA verlor ein Neugeborenes sein Leben, als die Dosierung seines Medikaments von 3,2 auf 3,4 Milliliter pro Stunde erhöht werden sollte. Es bekam wegen eines Tippfehlers 304 Milliliter pro Stunde.
Solch fatalen Fehlern möchte der Informatiker Thimbleby mit einem neuen Konzept vorbeugen: er nennt es interaktive Zahlensysteme. Eine Gefahr sei, dass das Eingeben von Ziffern unmittelbare Wirkung hat, anders als wenn man mit Stift und Papier arbeitet. Elektronische Geräte aber interpretieren Eingaben meist schon beim Tippen.
"Oft trifft ein Computer voreilige Entscheidungen, die den Sinn dessen ändern, was der Benutzer eingegeben hat", sagt Thimbleby. Zum Beispiel verwerfen manche Geräte Tastendrücke, die nicht ins Schema passen. Das sei zwar leicht zu erkennen, wenn der Nutzer die Augen immer wieder von der Tastatur abwendet und auf das Display richtet, so der Forscher. "Aber gerade in Stress-Situationen konzentrieren sich Leute auf ihre Finger. Dann passieren unbemerkt Fehler." Dabei geht es weniger um falsche Ziffern, sondern oft um Sonderzeichen wie plus, minus, mal sowie Punkte und Kommas.
"Leider gibt es keinen Mach-einfach-was-ich-meine-Knopf", seufzt Markus Dahm, der an der Hochschule Düsseldorf Software-Ergonomie lehrt. Geräte könnten ja nicht wissen, bei welchem Zeichen der Benutzer womöglich einen Fehler macht. Die Eingabe wie beim Taschenrechner erst beim "=" oder "OK" zu interpretieren und womöglich zu reklamieren, sei vielleicht klüger. "Aber nerven will man die Leute ja auch nicht. Es wird immer Situationen geben, wo etwas Falsches herauskommt."