Ein Leben soll Watson gerettet haben, immerhin: Im Jahre 2016 wurde ihm der Fall einer japanischen Patientin vorgelegt, über deren Zustand die Ärzte rätselten. Erst dem KI-System der IT-Firma IBM gelang es, eine seltene Leukämie zu diagnostizieren, die Frau wurde geheilt. Genau so hatte IBM es versprochen. Der Arzt müsse nur die Symptome in den Rechner eingeben, Watson schlägt die Diagnose und eine maßgeschneiderte Therapie vor. Dabei würde die KI besser als jeder Mensch den aktuellen Wissensstand berücksichtigen, automatisch medizinische Datenbanken, Studien sowie Patientenakten auswerten.
Doch bei der Anekdote ist es geblieben. Bislang hat IBM sein System noch keinen unabhängigen Studien ausgesetzt. Das medizinische Online-Magazin STAT berichtete gar, dass in Dänemark Ärzte nur in 33 Prozent der Fälle von Watsons Diagnosen überzeugt gewesen seien. In anderen Ländern hätten sich Watsons Vorschläge zwar in mehr als 90 Prozent der Fälle mit den Diagnosen der Ärzte gedeckt. Sie fragten sich allerdings, was ein System denn brächte, wenn es bestenfalls ihr Urteil bestätigte?
Die Revolution der Medizin mithilfe der künstlichen Intelligenz ist vorerst abgesagt, und manche Experten sind ganz froh darüber. Denn nun könne man sich um die wirklichen Vorteilen der neuen Ansätze kümmern. Thomas Friese, KI-Experte bei Siemens Healthineers etwa, spricht lieber von Assistenz-Systemen, von intelligenten Werkzeugen für Ärzte. Medizintechnik-Experten wie Michael Perkuhn von der Firma Philips sind sich sicher, dass 50 Prozent der Kliniken in den kommenden fünf Jahren künstliche Intelligenz implementieren würden.
Dazu muss man wissen, wozu eine KI derzeit fähig ist. Watson etwa nutzt ein neuronales Netz, das die Funktion der Neuronen im menschlichen Gehirn simuliert. Solche Netze sind lernfähig, brauchen aber Trainingsdaten. Um zum Beispiel auf den Bildern einer Magnetresonanztomografie einen Tumor zu erkennen, muss eine solche KI Tausende Beispielbilder von gesunden und kranken Menschen auswerten. Sie sucht dann nach Mustern, die den Tumor auszeichnen. Welche sie findet, wissen Informatiker nicht. Die Systeme sollen dies eigenständig erlernen, da die Regeln für einen Tumor so komplex sind, dass sie sich nicht programmieren lassen. Wichtig ist nur, dass die Unterscheidung zuverlässig gelingt.
Die Vorteile sind offensichtlich. Siemens Healthineers hat zum Beispiel ein System entwickelt, das bei der Computertomografie die bestmögliche Position für den Patienten ermittelt. Dabei schaut das System mit einer 3-D-Kamera auf ihn und zeichnet seine Form, Position, Größe und Konturen auf. Der Algorithmus wertet die Daten aus und positioniert den Patienten optimal in der Scan-Einheit. Das musste bisher das medizinische Personal tun, was Erfahrung und Zeit voraussetzt. "Mit unserem System ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass im ersten Versuch gute Ergebnisse gelingen", sagt Thomas Friese. "Das spart Zeit." Zugleich lasse sich so die Strahlendosis reduzieren, weil Zweituntersuchungen seltener nötig sind.
Beim CT entstehen zudem Schichtaufnahmen des Körpers. Um zu einem Befund zu kommen, muss der Arzt sich am Rechner durch diese Schichten hindurch- scrollen. Ein "Advanced Visualisation System", auf KI-Basis ermöglicht Ärzten, nicht nur entlang der Längsachse zu scrollen, sondern aus verschiedenen Winkeln. So können Ärzte den Verschlussgrad von Gefäßen leichter bewerten.
Auch Firmen wie Philips, GE Healthcare oder Canon bieten KI-unterstützte Systeme an. "Das generelle Ziel ist, so viel assistierende Automatisierung wie möglich einzuführen, damit Radiologen steigende Patientenzahlen, Fachkräftemangel und starken Zeitdruck, besser kompensieren können", sagt Friese. Die KI entlastet uns schon jetzt von einigen Routinetätigkeiten", bestätigt Michael Forsting vom Universitätsklinikum Essen. "Wir setzen KI zum Beispiel ein, um die Entzündungsherde bei Multipler Sklerose im Gehirn zu zählen oder Tumorgrößen zu vermessen." Die KI schaffe in Sekunden, wofür Ärzte mindestens eine Stunde bräuchten.