Süddeutsche Zeitung

Medizin:Deutschland ist Weltmeister im Blutverbrauch

  • Nirgends auf der Welt werden pro Kopf so viele Blutkonserven verbraucht wie in Deutschland.
  • Längst nicht alle Kliniken haben Maßnahmen umgesetzt, mit denen Spenderblut sparsamer eingesetzt werden kann.
  • Kritiker verweisen auf starke ökonomische Verflechtungen in der Transfusionsmedizin.

Von Christina Berndt

Es herrscht wieder Blutarmut in Deutschland. Wie immer, wenn es heiß wird, schwinden auch in diesem Sommer die Vorräte an Blutkonserven, weil Menschen lieber am See liegen als bei der Blutspende. Dabei müsste das lebensrettende Blut gar nicht so knapp sein, monieren Mediziner - wenn die Politik nur mehr gegen den umfangreichen Einsatz von Blutkonserven in Kliniken unternehmen würde. Das aber will die Bundesregierung nicht sehen, wie aus ihrer aktuellen Antwort auf eine Anfrage der Linken hervorgeht.

Nirgends auf der Welt werden pro Kopf so viele Blutkonserven verbraucht wie in Deutschland. Länder mit einem vergleichbaren Gesundheitssystem, wie Belgien, Frankreich oder Norwegen, kommen mit zwei Dritteln des Blutes aus, die Niederlande sogar mit der Hälfte. "Auf diese Weise werden nicht nur unnötige Mangelsituationen für echte Notfälle erzeugt", sagt Patrick Meybohm, Professor für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt:"Noch dazu bedeutet jede Bluttransfusion ein Risiko für den Empfänger." So bekämen Patienten, die Blutspenden erhalten haben, häufiger einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder eine Lungenembolie. Zudem könne das Risiko für Infektionen und für die Rückkehr einer Krebserkrankung steigen.

Die Weltgesundheitsorganisation fordert deshalb seit Langem ein Patienten-Blut-Management, das Transfusionen vermeiden soll, wann immer es geht. Im Rahmen des Managements, das mehr als 100 Maßnahmen umfasst, werden die körpereigenen Blutreserven des Patienten vor der Operation gestärkt - zum Beispiel mit Eisenpräparaten. Auch wird Wundblut aufbereitet und dem Patienten zurückgegeben. "So kann sich der Patient aus eigener Kraft erholen", sagt Alexander Zarbock, Direktor der Universitätsklinik für Intensivmedizin in Münster. Bisher haben aber nur etwa hundert deutsche Krankenhäuser ein solches Management etabliert, das in Frankfurt hat den Blutverbrauch um 40 Prozent reduziert.

Die Bundesregierung sieht trotzdem keinen Handlungsbedarf. Sie verweist in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auf Statements von Transfusionsmedizinern, die die Risiken gering einschätzen, und legt die Verantwortung allein in die Hände der Ärzte. Genau das sei das Problem, sagt Sylvia Gabelmann, Gesundheitsexpertin der Linken: In der Transfusionsmedizin gebe es starke ökonomische Verflechtungen.

"Blutspendedienste sowie Betreiber von Blutbanken haben an einer Verringerung des Einsatzes von Bluttransfusionen aus finanzieller Sicht kaum Interesse", so Gabelmann. Auch Fachleute beklagen, dass bei Blutkonserven alles in einer Hand liegt: Die Transfusionsmediziner bekommen das Blut gespendet, verkaufen es an die Krankenhäuser, schreiben die Behandlungsleitlinien und bestimmen auch noch die Preise. Für jeden anderen Bereich der Medizin sei das gar nicht mehr vorstellbar.

Einen Ausweg sieht Patrick Meybohm in einem verbindlichen Register, das alle Transfusionen und ihre Folgen erfasst. So würden nicht nur die Komplikationen bekannt. Mehr Transparenz würde auch die Rechte der Patienten stärken. Sie könnten dann vor einer Operation ersehen, wie großzügig die Klinik ihrer Wahl mit Blut umgeht.

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Quelle:
SZ vom 27.07.2018
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