Süddeutsche Zeitung

Medizin:Der Pharmamarkt zeigt seine Fratze

Wichtige Krebsmedikamente werden künstlich verknappt. Billig zusammengerührte Wirkstoffe stehen unter dem Verdacht, unsicher zu sein. Klingt nach Panikmache - ist es aber nicht.

Kommentar von Werner Bartens

Das System ist außer Kontrolle. Die Versorgung mit wichtigen Krebsmedikamenten ist immer öfter nicht gewährleistet. Neue Pharmaka sind häufig nicht besser als die bewährten, sondern nur teurer und mit heftigeren Nebenwirkungen behaftet.

Und wie sicher Arzneien sind, die in Deutschland gekauft und geschluckt werden, bleibt fraglich, solange 80 Prozent der Medikamente keinen Wirkstoff aus hiesiger Herstellung enthalten, sondern aus der Produktion in verschiedenen Billiglohnländern zusammengerührt werden.

Panikmache? Mitnichten. Der Pharmamarkt zeigt nur gerade die hässliche Fratze eines entfesselten Systems, in dem die Gewinnspanne allenfalls von der Organisierten Kriminalität übertroffen wird. Beispiele gibt es genug: Der Pharmamulti Aspen Holdings hat unter Beteiligung von GSK dringend benötigte Krebsmittel aus europäischer Produktion zurückgehalten und gedroht, sie nicht auszuliefern, wenn die Behörden nicht Preissteigerungen von bis zu 4000 Prozent akzeptieren.

"Skrupellose Preissteigerungen"

In Spanien, Italien, Griechenland und Deutschland kam es zu Lieferengpässen. Dringende Behandlungen von Krebspatienten mussten verschoben werden. Bei dem Versuch, das Produkt aus den USA zu beziehen, wurden 4000 statt üblicher 150 Euro für eine Dosis verlangt.

Sind keine Konkurrenzprodukte mehr auf dem Markt, wird der Preis obszön vervielfacht: Das Elffache für Krebsmittel in England, das Dreifache in Deutschland. Leidende Patienten, die auf Therapien warten, dienen als politisches Druckmittel. Etliche Firmen beteiligen sich an der künstlichen Verknappung und skrupellosen Preissteigerungen.

Behörden, die sich national wie international um Regulierung und Kontrolle des Pharmamarktes kümmern sollten, sind machtlos oder willenlos und versagen regelmäßig. Politisch ist kein Aufbegehren zu erkennen. Warum werden nicht Manager persönlich und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen, wenn sie ihre Vormachtstellung am Markt missbrauchen, Gesundheitssysteme ruinieren und Kranken schaden? Weshalb wird Firmen, die sich skrupellos verhalten, nicht ein befristetes Zulassungsverbot für neue Medikamente auferlegt?

Gerade hat der Bewertungsausschuss für die Kassenerstattung dem Brustkrebsmittel Ibrance von Pfizer ein vernichtendes Urteil ausgestellt. Das sündteure Mittel mit jährlichen Behandlungskosten von 66 000 Euro habe keinen Zusatznutzen, dafür heftige Nebenwirkungen bei 78 Prozent der Patientinnen. Pfizer hat bereits 600 Millionen Euro mit Ibrance verdient, weil die europäische Arzneimittelbehörde der Zulassung vergangenen Herbst zustimmte. Besserung ist nicht in Sicht. Patienten werden darunter leiden.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2017/fehu
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